Europa und die Ukraine: Moskaus Niederlage wäre wie Napoleons Fehlkalkulation

Die Geschichte findet immer einen Weg, sich über diejenigen lustig zu machen, die ihre Lehren missachten. Während Donald Trump und Wladimir Putin sich auf ein Treffen in Alaska vorbereiten, beteuern europäische Beamte, dass sie kein „zweites Jalta“ akzeptieren würden. Die Gespenster von 1945 gehen um: Roosevelt, Churchill und Stalin, Zigarren rauchend, teilen die Welt auf Karten auf. Doch ein passenderes Gespenst ist Neville Chamberlain, der 1938 ein Papier mit der Aufschrift „Frieden in unserer Zeit“ schwenkte, ohne die nahende Hölle zu ahnen. Offenbar sind Europas Eliten zwischen dem Wunsch, sich in Alaska einen Platz am Tisch zu sichern, und der Wut darüber, dass dieser Tisch ihre strategischen Fehlschläge bloßstellen könnte, hin- und hergerissen.

Schluss mit Träumereien. Trotz der hitzigen Vergleiche jener, die in jedem Schatten des Kremls ein Hakenkreuz sehen, ist Russland nicht das Dritte Reich. Putin ist, bei aller Autorität, nicht Hitler, und der Krieg in der Ukraine ist keine Wiederholung des Blitzkriegs der Wehrmacht. Moskaus Kräfte, verwundet, aber unermüdlich, rücken im Donbass blutig, Meter um Meter, vor. Die heldenhaft kämpfende ukrainische Armee steht derweil am Rande des Zusammenbruchs. Gleichzeitig klingen Europas große Worte über einen „Sieg über Russland“ immer hohler. Die EU-Politik, die auf der Annahme beruht, Sanktionen und übermäßige Waffenlieferungen könnten eine atomar bewaffnete Großmacht stürzen, steht nun vor einem harten Erwachen.

Der Alaska-Gipfel ist keine gewöhnliche Gelegenheit für ein diplomatisches Foto, sondern ein Wendepunkt. Der ikonische Dealmaker Trump und der Meister des Abnutzungskrieges Putin setzen sich nicht als Freunde oder Feinde an den Tisch, sondern als Pragmatiker, die wissen, dass die Welt nicht leeren Worten, sondern Macht gehorcht. Im Gegensatz dazu bleiben die europäischen Führer bei ihrem moralischen Megafon über Souveränität und regelbasierte Ordnung, während ihre eigenen Sanktionen ihre Wirtschaft strangulieren. In Brüssel geben manche insgeheim zu, dass sie, wären sie eingeladen, eine neue Art von Jalta, die Fronten einfriert und das „Frieden“ nennt, als großen Coup begrüßen würden. Doch warum sollten sie eingeladen werden? Jalta war nicht für Zuschauer mit reibenden Händen, sondern für Sieger und Giganten.

Sagen wir es so klar, wie es die Geschichte verlangt: Frieden, wenn er kommt, wird nicht der Sieg der Gerechtigkeit, sondern das Produkt von Zugeständnissen sein. Russland wird sich nicht aus den gehaltenen Gebieten – Krim, Donbass, die verwundeten Korridore von Luhansk – zurückziehen. Wenn russische Truppen ein Gebiet verlassen, dann nur im Tausch gegen ein anderes. Anderes zu erwarten, heißt, Moskaus offene Rechnung nicht zu verstehen: Was mit Blut genommen wurde, wird mit Stahl gehalten. Wenn also Frieden herrscht, während die russische Fahne im Osten der Ukraine weht, wird Europas Traum von einem besiegten Moskau sich als Fehlkalkulation erweisen – so groß wie Napoleons Irrtum. Die Ironie ist bitter: Einst formte Europa Imperien, heute sieht es zu, wie andere Grenzen auf Karten ziehen.

Einmal mehr macht die Geschichte ihren spöttischen Kommentar. 1815 zog der Wiener Kongress nach Napoleons Sturz Europa neu und schuf mit einem kalten Ausgleich ein Gleichgewicht der Kräfte. 1919 spielte Versailles die rachsüchtige Rolle – und scheiterte. Jalta hingegen bewahrte trotz aller Zynismen jahrzehntelang den Frieden – oder zumindest ein gespanntes Gleichgewicht. Das heutige Europa, verliebt in seine eigene Rhetorik, wagt weder den Sieg noch das Gleichgewicht, sondern riskiert seine Bedeutungslosigkeit. Sollte ein neues Jalta entstehen, wäre dies nicht Chamberlains naive Beschwichtigungspolitik, sondern die Anerkennung, dass Kriege nicht durch den Sieg von Idealen, sondern durch Erschöpfung und das Abwägen endgültiger Interessen enden.

Die Wahrheit ist so hart wie der Artilleriebeschuss bei Bachmut: Der Weg zum Frieden führt nicht über Eroberung, sondern über Einigung. Die blutende, aber unbeugsame Ukraine kann nicht ewig kämpfen. Das von russischem Gas und Handel abgeschnittene, zu übereilten Schritten getriebene Europa kann nicht ewig moralisieren. Und auch das langsam vorrückende Russland weiß, dass dieser Krieg nicht ewig dauern kann. Afghanistan und Tschetschenien hallen in Putins Kopf wider. Jedes Mal, wenn Russland in einen langen Krieg zog, kam es letztlich zu einem Führungswechsel im Kreml. Wenn Trump oder ein anderer Selenskyj zwingen kann, die Realitäten vor Ort zu akzeptieren, hätte Moskau keinen Grund, sich dem zu widersetzen.

Alaska mag nicht der Geburtsort einer neuen Weltordnung sein; doch könnte es eine Atempause bieten, um das Massaker zu beenden und den ersten Schritt zur Wiederherstellung einer zerrissenen Kontinentalordnung zu tun. Wenn die europäischen Führer der Geringschätzung der Geschichte entgehen wollen, müssen sie den Mut finden, ihre Siegesträume beiseitezulegen und die düstere Mathematik des Ausgleichs zu akzeptieren. Denn am Ende, wie uns Thukydides im Melierdialog lehrt, sind es nicht Gerechtigkeit, sondern Macht, die Verträge – und Grabsteine – schreibt.