Einführung in die Geschichte der Wahrnehmung des Islams im Westen – 1
Quelle: DÎVÂN Journal of Scholarly Studies, Ausgabe 15 (2003/2), S. 1–51
Die Entstehung der Wahrnehmung des Islams im östlichen und westlichen Christentum im Mittelalter
Die negativen Folgen des 11. September führten die lange und verschlungene Beziehung zwischen Islam und Westen in eine neue Phase. In vielen europäischen Ländern und in der amerikanischen öffentlichen Meinung herrschte ein weit verbreitetes und offenkundiges Misstrauen gegenüber dem Islam. Die Anschläge wurden als Erfüllung einer lange in das westliche Bewusstsein eingebetteten Prophezeiung interpretiert, dass der Islam eines Tages seine Zähne schärfen und die westliche Zivilisation zerstören würde. Die Vorstellung, den Islam ungerecht als unterdrückende religiöse Ideologie zu akzeptieren und den Islam ungerecht als pro-Gewalt und Terrorismus zu betrachten, ist zu einem weit verbreiteten Diskurs geworden, wobei alles, von Fernsehern über Regierungsbüros bis hin zu Schulen und dem Internet, zu einem Mittel geworden ist, um Meinungen zu äußern und Urteile zu fällen. Dieses radikalisierte Bild des Islams im Bewusstsein der Menschen führte zu der Idee, eine Offensive gegen religiösen Konservatismus und Terrorismus zu entwickeln. Einige schlugen sogar vor, eine nukleare Attacke auf die heilige Stadt Mekka durchzuführen, um den Muslimen der Welt eine unvergessliche Lektion zu erteilen. Der weitverbreitete Ärger, die Feindseligkeit und das Verlangen nach Rache könnten als menschliche Reaktion auf den Verlust von fast dreitausend unschuldigen Menschenleben interpretiert werden. Ihre Verbindung zur Darstellung des Islams und der Muslime als dämonische Wesen basiert jedoch auf viel tieferen philosophischen und historischen Grundlagen.
Von den theologischen Polemiken, die im 8. und 9. Jahrhundert in Bagdad entstanden, bis hin zu der convivencia-Erfahrung (Koexistenz) in Andalusien im 12. und 13. Jahrhundert haben viele Faktoren die Wahrnehmung der beiden Zivilisationen und das Misstrauen, das sie hegten, geprägt. Diese Studie untersucht die wichtigsten Elemente, die in der Geschichte der Beziehung zwischen dem Westen und der islamischen Zivilisation hervorstechen, und argumentiert, dass die Wurzeln der monolithischen Vorstellung des Islams – die von den Medien, Forschungseinrichtungen, akademischen Kreisen, Lobbys, Politikgestaltern und Image-Machern, die das westliche Bewusstsein kontrollieren, geschaffen und aufrechterhalten wird – in der langen Geschichte des Westens mit dem Islam liegen. Sie wird auch aufzeigen, wie tief verwurzeltes Misstrauen gegenüber dem Islam und den Muslimen eine Rolle bei grundsätzlich fehlerhaften politischen Entscheidungen gespielt hat, die die aktuellen Beziehungen zwischen Westen und Islam direkt beeinflussen. Das Vorurteil, das sich nach dem 11. September bei vielen Amerikanern herausbildete, dass Islam nahezu identisch mit Terrorismus und Extremismus sei, weist sowohl auf eine Fehlwahrnehmung der Geschichte hin als auch darauf, dass einige Interessengruppen die Auseinandersetzung mit der islamischen Welt als einzigen Ausweg sehen. Diese Studie versucht, einen historischen Rahmen bereitzustellen, der hilft, die Entwicklungen nach 9/11 und ihre Auswirkungen auf beide Zivilisationen zu verstehen.
Zwei Haupteinstellungen stechen in der Wahrnehmung des Islams im Westen hervor: Die erste und bisher weit verbreitetste Sichtweise ist die der Unvereinbarkeit und des Konflikts. Ihre Ursprünge reichen bis ins 8. Jahrhundert zurück, als der Islam auf der Bühne der Geschichte erschien und vom Westen schnell als theologische und politische Bedrohung für das Christentum wahrgenommen wurde. Im mittelalterlichen europäischen Denken wurde der Islam als Häresie betrachtet und der Prophet Muhammad (Friede sei mit ihm) als Betrüger gesehen. Diese Vorstellung bildet die religiöse Grundlage der konfliktbehafteten Haltung, die bis in die Gegenwart reicht und nach dem 11. September an Dynamik gewonnen hat. In der Neuzeit kombinierte diese konfliktbehaftete Haltung religiöse und säkulare Begriffe. Am bekanntesten ist die Hypothese des „Clash of Civilizations“, die politische und strategische Interessen zwischen muslimischen und westlichen Ländern im Kontext tiefgreifender religiöser und kultureller Unterschiede betont.
Die zweite Sichtweise ist die der „Koexistenz und des Kompromisses“, die historisch von Swedenborg, Goethe, Henry Stubbe, Carlyle und anderen unterstützt wurde, jedoch erst im vergangenen Jahrzehnt als bedeutende Alternative an Bedeutung gewann. Befürworter dieser Versöhnungsperspektive sehen den Islam als Schwesterreligion und argumentieren, dass, da er tatsächlich Teil der abrahamitischen Tradition ist, die Möglichkeit der Koexistenz von Islam und Christentum zunehmen werde, wie in den Beispielen von Swedenborg und Goethe. Diese Sichtweise, die im letzten Teil der Studie kurz behandelt wird, markiert einen neuen und wichtigen Wendepunkt in der Geschichte des Islams und des Westens, indem sie langfristige Koexistenz und gegenseitiges Verständnis betont.
Der erste Teil unserer Studie wird sich darauf konzentrieren, wie der Islam zunächst von christlichen Theologen, zuerst im Osten und dann in Europa, als religiöse Häresie wahrgenommen wurde. Die Wurzeln gängiger Vorstellungen wie der Islam sei eine „Religion des Schwertes“, der Prophet Muhammad (Friede sei mit ihm) sei eine gewalttätige Figur und der Koran sei ein bedeutungsloser theologischer Text, lassen sich auf diese Zeit zurückverfolgen.
Der zweite Teil wird die Wahrnehmung des Islams im Mittelalter und in der Renaissance behandeln, wobei der Islam im Gegensatz zur intellektuellen und religiösen Überlegenheit des Christentums als Weltkultur wahrgenommen wurde. Obwohl einige spätmittelalterliche und Renaissance-Denker den Islam wie andere Religionen bewerteten und ihn als irrational und falsch verspotteten, schreckten sie nicht davor zurück, die philosophischen und wissenschaftlichen Entwicklungen der islamischen Zivilisation anzuerkennen. Diese neue Haltung spielte eine wichtige Rolle bei der Prägung der europäischen Wahrnehmung des Islams im 18. und 19. Jahrhundert. Sie ebnete auch den Weg für den Aufstieg des Orientalismus, der in den folgenden zwei Jahrhunderten offizielle Studien über den Osten und den Islam hervorbrachte.
Im dritten Teil werden wir den Orientalismus im Rahmen der westlichen Wahrnehmung des Islams diskutieren und darauf eingehen, wie der Orientalismus die moderne westliche Sichtweise auf den Islam geprägt hat. Nach der Schaffung eines ausreichenden historischen Rahmens wird der letzte Teil der Studie detaillierter erläutern, wie die Vorwürfe von Gewalt, Terror, Aggression und Fundamentalismus, die verwendet wurden, um das kriegerische Bild des Islams als „Anderen“ zu betonen, mit der Wahrnehmung des Islams als „Religion des Schwertes“ im Spätmittelalter verknüpft wurden. Außerdem wird argumentiert, dass die fundamentalistische Erzählung des Islams das Konzept von dār al-ḥarb im Gegensatz zu jihad und dār al-Islām weitgehend fehlinterpretiert und militarisiert hat, um die Möglichkeit der Bildung eines Diskurses über Dialog und Koexistenz zwischen Islam und Westen zu blockieren.
Von theologischer Rivalität zu kulturellen Unterschieden: Die Wahrnehmung des Islams im Mittelalter
Der Islam, der sich als die letzte der abrahamitischen und göttlichen Religionen versteht, wurde von Beginn an als die größte Herausforderung für das Christentum angesehen. Bezüge auf jüdische Traditionen und christliche Propheten, Hadithe, Prophetengeschichten im Koran und weitere Aspekte stimmten manchmal mit den biblischen Texten überein, manchmal widersprachen sie ihnen. Dies führte einerseits zu Verwirrung und Misstrauen in der christlichen Welt und andererseits zu dem dringenden Bedürfnis, auf den Anspruch des Islams auf Originalität zu reagieren. Die frühesten Polemiken zwischen muslimischen Gelehrten und christlichen Klerikern zeigen, wie sehr beide Gemeinschaften ihre Religion verteidigen wollten. Zwischen dem 8. und 10. Jahrhundert wurden Bagdad und Syrien zu zwei wichtigen Zentren intensiven intellektuellen Austauschs und theologischer Auseinandersetzungen zwischen Muslimen und Christen. Obwohl die theologische Rivalität anhielt, gab es auch bedeutenden Austausch in Philosophie, Logik und Theologie jenseits der polemischen Streitigkeiten.
Östliche christliche Theologen hatten die Möglichkeit, muslimischen Gelehrten ernsthafte Herausforderungen zu stellen, da sie einen Schritt voraus waren in der Entwicklung einer umfassenden theologischen Sprache unter Nutzung des Wissens aus der antiken griechischen und hellenistischen Kultur. Entscheidend ist hierbei: Der Islam wurde nicht deshalb als religiöse Herausforderung für das Christentum wahrgenommen, weil er völlig anders oder neu war. Im Gegenteil, auch wenn der Koran bestimmte jüdische und christliche Glaubensvorstellungen kritisierte, teilte die Botschaft des Islams wesentliche Gemeinsamkeiten mit Judentum und Christentum.
Ein weiterer wichtiger Faktor war die rasche Ausbreitung des Islams in zuvor christlich kontrollierte Gebiete. Ein Jahrhundert nach der Eroberung von Mekka verbreitete sich der Islam über die Arabische Halbinsel hinaus – von Ägypten bis Jerusalem, von Syrien bis zum Kaspischen Meer und Nordafrika – und viele Menschen in diesen Regionen konvertierten zum Islam. Als „Leute des Buches“ genossen Juden und Christen unter islamischem Recht Religionsfreiheit und wurden nicht zum Übertritt gezwungen. Diese unerwartet schnelle Ausbreitung alarmierte den christlichen Westen. Die Jahrhunderte später geführten Kreuzzüge hatten ihre Wurzeln in genau diesem Faktum. Hinzu kam der Vormarsch muslimischer Armeen nach Westen – zunächst unter den Umayyaden, dann unter den Abbasiden und schließlich unter den Osmanen – was die Besorgnis im Westen erhöhte und bis zum Niedergang des Osmanischen Reiches anhielt, der führenden politischen Macht auf dem Balkan und im Nahen Osten. Zwei Hauptgründe wurden häufig für die schnelle Ausbreitung des Islams angeführt: dass er „mit dem Schwert“ verbreitet wurde und dass der Prophet durch Polygamie und Konkubinate die animalischen Instinkte der Menschen ansprach. Wie der Reisende des 17. Jahrhunderts, George Sandys, bemerkte, wurde diese Liste später erweitert, um die Einfachheit des islamischen Glaubens einzuschließen; Konvertiten zum Islam wurden in einem quasi-rassistischen Sinne als „einfach“ abgetan.[1]
Einerseits spielten die theologischen Grundlagen des Islams als Religion, andererseits die rasche Expansion islamischer Gebiete eine wichtige Rolle bei der Entstehung antimuslimischer Einstellungen im Mittelalter. Am anschaulichsten zeigt dies Johannes von Damaskus (675–749), bekannt auf Arabisch als Yūḥannā al-Dimashqī und auf Latein als Johannes Damascenus. Wie sein Vater Ibn Manṣūr diente Johannes als Hofbeamter des Umayyaden-Kalifen in Syrien. Er ist bedeutend, nicht nur wegen seiner Beiträge zur orthodoxen Theologie und seinem Kampf gegen den Ikonoklasmus im 8. Jahrhundert, sondern auch wegen seiner zentralen Rolle in der historischen Entwicklung christlicher Polemik gegen Muslime, damals häufig als „Sarakenen“ bezeichnet. Es scheint, dass der abwertende Begriff „Sarakene“, der in vielen späteren antimuslimischen Polemiken verwendet wurde, auf Johannes zurückgeht. [2] Zusammen mit seinem Zeitgenossen Beda († 735) und eine Generation später Theodore Abū Qurra († 820/830) [3] prägte Johannes von Damaskus die mittelalterliche Wahrnehmung des Islams mit der Behauptung, der Islam sei tatsächlich eine Abweichung vom Christentum oder, in seinen eigenen Worten, „eine Häresie der Ismaeliten“[4] . Dies bestimmte für Christen die Art und Weise, wie Islam im Mittelalter verstanden wurde, und diese Sicht blieb bis zum Ende der Renaissance prägend. [5] Viele theologische Darstellungen, die den Islam als Illusion der Ismaeliten und als Vorbote des Antichristen [6] porträtierten, stammen von Johannes. Darüber hinaus war er der erste christliche Polemiker, der den Propheten Muhammad als falschen Propheten bezeichnete: „Der Gründer des Islams, Muhammad, war ein falscher Prophet, der zufällig auf das Alte und Neue Testament stieß. Er tat auch so, als habe er einen arianischen Mönch getroffen, um seine eigene Häresie zu erfinden.“[7]
Ein wichtiger Aspekt von Johannes’ Polemik ist, dass er, im Gegensatz zu den meisten westlichen Nachfolgern, direkten Zugang zu muslimischen Ideen und Sprache hatte. [8] R.W. Southern stellte zutreffend fest, dass der Mangel an erstem Wissen über islamische Glaubensvorstellungen und Praktiken durch Christen im Mittelalter „das historische Problem des Christentums“ darstellt, um das Aufkeimen von Häresie in der eigenen Religion zu verhindern. [9] Der fehlende direkte Kontakt und zuverlässige Informationsquellen führten zur Entstehung einer falschen Geschichte des Islams und des Propheten Muhammad im Westen, was den Islam im europäischen Bewusstsein während des gesamten Mittelalters zu einem mächtigen Gegner machte.
Dieses Problem verband sich später mit den byzantinischen Auseinandersetzungen gegen den Islam und der feindseligen Literatur, meist auf theologischer Grundlage, die byzantinische Theologen zwischen dem 8. und 10. Jahrhundert produzierten. [10] Die antimuslimische byzantinische Literatur, die bestimmte Verse des Korans bezüglich Glauben und Praxis kritisierte, den Islam als theologischen Rivalen betrachtete und ihn als Häresie brandmarkte, wies bemerkenswerte Kenntnisse aus erster Hand auf und bot eine solide historische und theologische Basis für spätere Kritik am Islam. [11]
Wie bewusste Ignoranz eine subtile Strategie jener Zeit war, so war auch die Wahrnehmung des Islams als theologischer Herausforderung, die kategorisch abgelehnt werden musste. Die Ablehnung der Dreifaltigkeit zugunsten des Monotheismus, die Sicht Jesu als Prophet statt göttlich und die Betonung der Existenz religiöser Gemeinschaften ohne kirchliche Hierarchie oder Autorität blieben dem westlichen Christentum nicht verborgen. Anders als das östliche Christentum, das mitten in der muslimischen Welt lag und leichter Zugang zu Informationen über den Islam hatte, wurde der Islam im Westen als niedrigste Form der Häresie und Götzenverehrung wahrgenommen – noch weniger als der manichäische Glaube, dem Augustinus vor seiner Bekehrung zum Christentum angehörte.
Im Gegensatz zum Beispiel Spaniens, wo die drei abrahamitischen Religionen über längere Zeit koexistierten und kulturellen sowie intellektuellen Austausch pflegten, wurde das durch die räumlichen und intellektuellen Begrenzungen des westlichen Christentums entstandene Vakuum mit zahlreichen erfundenen Geschichten über Islam und Muslime gefüllt. Diese erfundenen Erzählungen wurden durch die Kreuzfahrer verstärkt, die neue imaginäre Geschichten, Legenden und Figuren mitbrachten.
Man hätte erwarten können, dass die Kreuzfahrer verlässlichere Informationen über den Islam mitbringen würden, doch dem war nicht so. Stattdessen kehrten sie mit Darstellungen zurück, die das Bild des Islams als gottlosen, idolatristischen Glauben verstärkten. Dennoch erzielten die Kreuzzüge ein wichtiges Ergebnis, das in Berichten über mittelalterliche westliche Wahrnehmungen des Islams oft übersehen wird: Als erste westliche Christen, die tief in die islamische Welt vordrangen, begegneten die Kreuzfahrer islamischen Städten, Straßen, Märkten, Moscheen und vor allem den Menschen selbst.
Bei ihrer Rückkehr brachten sie nicht nur die Legende von Saladin, dem Eroberer Jerusalems, sowie Luxusgüter wie Seide, Papier und Parfüm, sondern auch das muslimische Lebensmodell und die Vorstellung von Sinnlichkeit und Reichtum nach Westeuropa. Diese Erzählungen und importierten Produkte, die auf den Genuss weltlicher Vergnügungen hinwiesen, stützten die westliche Vorstellung davon, wie „böse“ die „Ismailiten“ (Araber) seien. Obwohl diese Geschichten manchmal von stiller Bewunderung begleitet waren, verbesserten sie das Image des Islams im Westen kaum.
Dennoch eröffneten sie eine neue Perspektive, den Islam nicht nur als Religion, sondern auch als Kultur und Zivilisation wahrzunehmen. Auf diese Weise gewann der Islam, der auf religiöser und theologischer Ebene kontinuierlich abgewertet wurde, einen neutralen Wert als Kultur. Die Bedeutung dieses Wahrnehmungswandels kann kaum überschätzt werden. Nach dem 14. Jahrhundert, als das Christentum seinen Einfluss in der westlichen Gesellschaft zu verlieren begann, begannen viele außerhalb des Klerus, die sich nicht mehr um traditionelle christliche Kritik am Islam kümmerten, diesen als bedeutenden kulturellen und zivilisatorischen Raum jenseits theologischer und geografischer Grenzen des Christentums zu betrachten.
Erstaunlicherweise wurde die islamische Zivilisation, wie sie in Westeuropa bekannt war, als Beispiel gegen das Christentum herangezogen, um dessen Anspruch, die einzige wahre und universelle Wahrheit zu besitzen, abzulehnen. Dies erklärt die Haltung des Renaissance-Europas: Die Renaissance verachtete den Islam als Religion, bewunderte ihn jedoch als Zivilisation.
Während der blutigen und ehrgeizigen Kreuzzüge ereignete sich eine wichtige und unerwartete Entwicklung in der literarischen Auseinandersetzung mit dem Islam. Zum ersten Mal in der Geschichte wurde der Koran ins Lateinische übersetzt, unterstützt vom christlichen Theologen Peter dem Verehrten († 1156). Der Übersetzer war Robert von Ketton, der seine unvollendete Arbeit im Juli 1143 abschloss. [12]
Wie zu erwarten war, war das Hauptmotiv für die Übersetzung des Korans nicht, den Islam durch die Lektüre seines heiligen Buches zu verstehen, sondern den „Feind“ besser kennenzulernen. Peter erklärte seine Beweggründe folgendermaßen:
„Wenn diese Arbeit überflüssig erscheint, so sage ich innerhalb der höchsten Republik des Königreichs: Da der Feind nicht leicht durch solche Waffen verletzt werden kann, dienen einige Dinge der Verteidigung, andere der Zierde und manche beiden Zwecken. Der friedliche Salomo bereitete Armeen zur Verteidigung vor, die zu seiner Zeit unnötig waren. David schmückte den Tempel mit Ornamenten, die zu seiner Zeit wenig Bedeutung hatten (…) Ebenso wird diese Arbeit, selbst wenn sie die Muslime nicht von ihrer Religion abbringen kann, zumindest gelehrten Männern eine Verteidigung gegen schwächere Brüder in der Kirche bieten, die durch Kleinigkeiten verärgert sind.“ [13]
Unabhängig von der eigentlichen Absicht der Übersetzung muss festgestellt werden, dass dies eine sehr bedeutende Entwicklung war. Diese Übersetzung prägte die Ausrichtung und den Umfang der Islamstudien im Mittelalter und bot Kritikern des Islams die Möglichkeit, durch ein einheitliches Werk Kritik zu üben und die Grundlage für die meisten erwarteten Vorwürfe zu schaffen. Noch wichtiger als die Übersetzung selbst war die Einbeziehung des Propheten Muhammad (Friede sei mit ihm) in das antimuslimische Denkgerüst des mittelalterlichen Christentums. [14] Während Johannes von Damaskus als erster den Propheten des Islams als „falschen Propheten“ bezeichnete, finden sich in der antimuslimischen Literatur vor dem 11. Jahrhundert kaum Referenzen auf den Propheten, bekannt als „Mahomet“. Mit der Aufnahme Muhammads in dieses Bild nach der Koranübersetzung wurde jedoch eine neue, eschatologische Dimension hinzugefügt, die den Islam als schuldige und böse Religion präsentierte, für die das Urteil bereits gefällt war, da der Prophet mit dem Antichristen gleichgesetzt werden konnte, der das Ende der Welt ankündigte.
Diese Darstellung des Propheten war gleichermaßen von dem bereits erwähnten historischen Problem des mittelalterlichen Europas beeinflusst: dem Mangel an Wissen über den Islam auf Basis von Originalquellen, Texten und verlässlichen Daten. Tatsächlich konnte bis zum späten 13. Jahrhundert keiner der lateinischen Islamkritiker ausreichend Arabisch. Der scholastische Philosoph Roger Bacon beklagte, dass König Ludwig XI. von Frankreich niemanden finden konnte, der einen arabischen Brief des Sultans von Ägypten lesen und übersetzen oder auf Arabisch beantworten konnte. [15] Arabisch wurde an europäischen Universitäten formal erst Ende des 16. Jahrhunderts gelehrt; erst 1587 begannen reguläre Arabischkurse am Collège de France in Paris. Die erste lateinische Biographie des Propheten, Vita Mahumeti, geschrieben von Embrico von Mainz († 1077), nutzte selektiv byzantinische Quellen und präsentierte grobe Darstellungen von Muhammads (Friede sei mit ihm) privatem und gesellschaftlichem Leben. [16]
Das Bild, das aus solchen Studien hervorging – der Prophet des Islams und die Verbreitung seines Glaubens auf eine Weise, die einige störte – stimmte weitgehend mit apokalyptischen Theorien über das Erscheinen des Antichristen überein, dessen Kommen im Heiligen Buch angekündigt wurde. Wie zu erwarten, erlaubten die theologischen Sorgen jener Zeit in den folgenden zwei Jahrhunderten keine verlässliche wissenschaftliche Arbeit oder ein positiveres Bild des Propheten.
Fast alle lateinischen Werke über das Leben des Propheten verfolgten dasselbe Ziel: zu beweisen, dass jemand wie Muhammad unmöglich ein Prophet Gottes sein konnte. Das unveränderte Thema war der Kontrast zwischen Muhammads „weltlichen“ Eigenschaften und der „spirituellen“ Natur Jesu. Nach Ansicht der Lateiner war Muhammad von sexueller Begierde und politischem Ehrgeiz besessen, die er nutzte, um seine Anhänger zu kontrollieren und dem Christentum zu schaden. Er war rücksichtslos gegenüber seinen Feinden, insbesondere Juden und Christen, und fand Freude daran, diejenigen zu foltern und zu töten, die sich ihm widersetzten. Die einzige logische Erklärung für seinen religiösen und politischen Erfolg war für sie, dass er ein Zauberer sei, der magische Kräfte einsetzte, um Menschen zur Konversion zu bewegen. Solche Vorstellungen von Muhammads psychischem Zustand hielten sich bis ins späte 19. Jahrhundert. William Muir (1819–1905), britischer Kolonialbeamter in Indien und später Administrator an der Universität Edinburgh, beschrieb Muhammad in seinem polemischen Werk Life of Mohammed als „Psychopathen“, in Anlehnung an mittelalterliche Kritiker. Mythen verbreiteten, er habe einen christlichen Hintergrund, sein Leichnam sei von Schweinen gefressen worden, seine Heiligkeit entweiht oder er sei vor seinem Tod heimlich getauft worden. [17]
Dieses Bild des Propheten kann als Fortsetzung der unmissverständlichen Ablehnung des Korans als göttliche Offenbarung gesehen werden. Da Muhammad als verrückter Mann mit halluzinatorischem Geist dargestellt wurde, erschien es den Gegnern des Korans überzeugender, ihn mit einem solchen Mann zu verbinden. Ein weiterer theologischer Grund für die Fokussierung auf die Figur des Propheten liegt darin, dass das Christentum fundamental eine „christliche“ Religion war und Jesus als Inkarnation von Gottes Wort galt. Lateinische Kritiker sahen die gleiche Rolle für Muhammad innerhalb der islamischen Weltanschauung: Der Islam konnte nicht verstanden oder abgelehnt werden ohne seinen Propheten.
Die Ablehnung des Korans als göttliche Offenbarung, kombiniert mit der Darstellung Muhammads (Friede sei mit ihm) als irrtümlicher Zauberer, prägte die westliche Wahrnehmung des Islams bis weit in die Neuzeit. Eine der beunruhigendsten Folgen war die Ausgrenzung des Islams aus der Familie der monotheistischen Religionen. Trotz des modernen, tripartiten Dialogs zwischen Judentum, Christentum und Islam, gefördert durch Gelehrte wie Sayyed Hossein Nasr, Ismail Raji al-Faruqi, Kenneth Cragg und John Hicks [18], ist deutlich, dass der Islam zwar wie die anderen beiden abrahamitischen Religionen zum monotheistischen Universum gehört, aber noch immer nicht in einer „jüdisch-christlich-islamischen Tradition“ gleichwertig angesiedelt werden kann. Das Fehlen eines solchen Diskurses verstärkt die mittelalterliche Wahrnehmung des Islams als perverse und idolatristische Religion und verhindert eine umfassendere Bewertung auf religiöser Ebene.
[1] Diese verbreiteten Erklärungen für die Ausbreitung des Islams wurden sogar von amerikanischen Schriftstellern des 19. Jahrhunderts akzeptiert, wie Edward Forster, John Hayward und George Bush, der erste Amerikaner, der eine Biographie des Propheten verfasste; siehe Fuad Sha’ban, Islam and Arabs in Early American Thought: The Roots of Orientalism in America, The Acorn Press, North Carolina 1991, S. 40–43.
[2] Laut Oleg Grabar stammt der Begriff „Sarazene“ vom Wort „Sarakenoi“: „Johannes von Damaskus und andere nach ihm bestanden stets darauf, dass die neuen Herrscher des Nahen Ostens ‚Ismaeliten‘, Ausgestoßene, seien. In diesem Sinne bedeutete der alte Begriff Sarakenoi ‚leer von Sara‘ (ek tes Sarras kenous), und die Araber wurden oft abwertend als Agarenoi bezeichnet“; siehe Oleg Grabar, „The Umayyad Dome of the Rock in Jerusalem“, Ars Orientalis, Bd. 3 (1959), S. 44.
[3] Für Auszüge aus den Schriften von Theodore Abu Qurra und seinen Schriften gegen den Islam siehe Adel-Theodore Khoury, Les Théologiens Byzantins et L’Islam: Textes et Auteurs, Editions Nauwelaerts, Löwen 1969, S. 83–105.
[4] Der Begriff „Ismaeliten“ bezieht sich hier nicht auf den Ismailismus, der sich als Zweig des Schiitentums entwickelte, sondern allgemein auf Araber und Muslime im Sinne von „Nachkommen Ismaels“. Christliche Theologen und Historiker verwendeten diesen Begriff, weil sie glaubten, dass Araber von Ismael abstammten.
[5] Beda war der erste Theologe, der Muslime (Sarazenen) als Feinde von Gottes biblischen Geboten klassifizierte; siehe Norman Daniel, Islam and the West: The Making of an Image, Oneworld, Oxford 1993 (1. Aufl. 1960).
[6] Daniel J. Sahas, John of Damascus on Islam: The “Heresy of the Ishmaelites”, E.J. Brill, Löwen 1972, S. 68.
[7] Zitiert aus De Haeresibus, 764b: Sahas, a.a.O., S. 73.
[8] Zur Laufbahn von Johannes unter der Umayyaden-Dynastie siehe Sahas, a.a.O., S. 32–48.
[9] R.W. Southern, Western Views of Islam in the Middle Ages, Harvard University Press, Cambridge 1962, S. 3.
[10] Wie Kedar hervorhebt, ist dies das Ergebnis der täglichen Kontakte des östlichen Christentums mit Muslimen; siehe Crusade and Mission: European Attitudes toward the Muslims, Princeton University Press, Princeton 1984, S. 35 ff.
[11] Einige der von byzantinischen Theologen verfassten antimuslimischen Texte sind gesammelt in Adel-Theodore Khoury, Les Théologiens Byzantins et L’Islam. Dieses Werk enthält repräsentative Texte von Theologen wie Johannes dem Syrer, Theodore Abu Qurra, Theophanes dem Bekenner, Niketas von Byzanz und George Hamartolos.
[12] Zur Übersetzung von Ketton siehe Marie-Thérèse d’Alverny, „Deux Traductions Latines du Coran au Moyen Age“, Archives d’histoire doctrinale et littéraire du Moyen Age 16, Librairie J. Vrin, Paris 1948. Derselbe Artikel erschien auch in ihrem Werk La connaissance de l’Islam dans l’Occident médiéval, Variorum, Großbritannien 1994, Bd. I, S. 69–131. In diesem Werk analysierte d’Alverny auch die lateinische Übersetzung von Mark von Toledo, die kurz nach Ketton abgeschlossen wurde. Siehe auch James Kritzeck, „Robert of Ketton’s Translation of the Qur’an“, Islamic Quarterly, II/4 (1955), S. 309–312.
[13] Peter zitiert in Southern, a.a.O., S. 38–39. Trotz seiner bewusst antimuslimischen Kampagne leitete Peter der Verehrte eine neue Ära im Studium des mittelalterlichen europäischen Islams ein; siehe James Kritzeck, Peter the Venerable and Islam, Princeton University Press, Princeton 1964, S. 24–36.
[14] Siehe Kenneth M. Setton, Western Hostility to Islam and Prophecies of Turkish Doom, American Philosophical Society, Philadelphia 1991, S. 47–53.
[15] Siehe James Windrow Sweetman, Islam and Christian Theology, Lutterworth, London 1955, Teil 2, Bd. 98–99. Marie-Thérèse d’Alverny weist in ihrem wichtigen Artikel ebenfalls auf dasselbe Problem hin: „La connaissance de l’Islam en Occident du IXe au milieu du XIIe siècle“, Settimane di studio del Centro italiano di studi sull’alto medioevo 12, L’Occidente e l’Islam nell’alto medioevo, Spoleto 2–8 April 1964, col. II Spoleto, 1965, S. 577–578.
[16] Siehe John Tolan, „Anti-Hagiography: Embrico of Mainz’s Vita Mahumeti,“ Journal of Medieval History, Bd. 22 (1996), S. 25–41. Southern zitiert zwei weitere gleichwertige Werke: Walter von Compiegne, Otia de Machomete, geschrieben zwischen 1137 und 1155, und Guibert von Nogent, Gesta Dei per Francos, eine Chronik der Kreuzzüge aus dem frühen 12. Jahrhundert, die eine Passage über den Propheten des Islams enthält; siehe Southern, a.a.O., S. 30.
[17] Mehr zur Wahrnehmung des Propheten des Islams im Westen vom Mittelalter und der Renaissance bis zur Gegenwart siehe Clinton Bennett, In Search of Muhammad, Cassell, London-New York 1998, S. 69–92 und 93–135; Norman Daniel, Islam and the West: The Making of an Image, S. 100–130. Eine kritische Bewertung der Ansichten dreier orientalischer Gelehrter zum Propheten siehe Jabal Muhammad Buaben, Image of the Prophet Muhammad in the West: A Study of Muir, Margoliouth and Watt, The Islamic Foundation, Leicester 1996.
[18] Siehe Seyyed Hossein Nasr, Knowledge and the Sacred, State University of New York Press, Albany, N.Y. 1989, S. 280–308; derselbe Autor, „Comments on a Few Theological Issues in Islamic-Christian Dialogue“, in: Christian Muslim Encounters, hrsg. Yvonne-Wadi Haddad, Florida University Press, Florida 1995, S. 457–467; derselbe Autor, „Islamic-Christian Dialogues: Problems and Obstacles to be Pondered and Overcome“, Muslim World, Juli–Oktober 1998, S. 218–237; Kenneth Cragg, The Call of the Minaret, Orbis Books, New York 1989 (1. Aufl. 1956); derselbe Autor, Muhammad and the Quran: A Question of Response, Orbis Books, New York 1984; Ismail Raji al-Faruqi (Hrsg.), Trialogue of the Abrahamic Faiths, International Institute of Islamic Thought, Herndon, VA 1982; Frithjof Schuon, Christianity/Islam: Essays on Esoteric Ecumenism, World Wisdom Books, Bloomington 1985.