Eine neue dreipolige Weltordnung entsteht – und Europa ist nicht mehr Teil davon

Europa erlebte eine gute Epoche. Seit dem Zeitalter der großen Entdeckungen, das alle Kontinente miteinander verband und der Menschheit erstmals eine globale Perspektive eröffnete, stand es ein halbes Jahrtausend lang an der Spitze der Weltpolitik. Die großen europäischen Imperien – zunächst Portugal, dann Spanien, Großbritannien und Frankreich – dominierten rund 350 Jahre lang große Teile des Planeten. Die Regionen, die sich der europäischen Kontrolle entzogen, waren entweder nach innen gerichtete Zivilisationen wie China und Japan oder regionale Mächte ohne echte globale Ambitionen wie das Osmanische Reich, Russland oder die Vereinigten Staaten in ihrem ersten Jahrhundert der Unabhängigkeit.

Doch in den vergangenen 150 Jahren begann das kollektive Gewicht Europas im globalen Kräftegleichgewicht zu sinken. Zwei Weltkriege, der Verlust der Imperien und der Aufstieg neuer Akteure mit weltweiter Reichweite – zuerst Amerika, dann die Sowjetunion und heute China – führten dazu, dass das alte Europa seine Vormachtstellung in den internationalen Beziehungen verlor, wenngleich es weiterhin an der Spitze des geopolitischen Tisches saß.

Seit 1945 jedoch waren Europas Einfluss und Status – als Teil dessen, was wir den „Westen“ nennen – zunehmend an die amerikanische Macht gebunden und immer stärker von ihr abhängig. Die transatlantischen Beziehungen wuchsen sowohl im Bewusstsein als auch in der politischen Kultur Europas und der Vereinigten Staaten so eng, komplex und tief verwurzelt zusammen, dass es konzeptionell unmöglich wurde, Europas Macht unabhängig von Amerikas Macht zu bewerten. Diese Verflechtung diente lange Zeit dazu, die Erosion von Europas tatsächlicher Position in globalen Angelegenheiten zu verschleiern.

Das Problem ist nicht nur der Mangel an militärischen Fähigkeiten. Dass Europa nahezu vollständig von amerikanischer Sicherheit abhängig ist, ist seit Churchill bekannt, doch das Bündnis hielt dennoch fest zusammen. Der Grund dafür war Europas wirtschaftliche Stärke – besonders in der goldenen Ära der EWG und der EU –, die ein Gegengewicht zur militärischen Schutzfunktion Amerikas bildete. Ein wohlhabendes, wachsendes und politisch-ideologisch ähnlich ausgerichtetes Europa war in jedem Szenario ein guter Geschäftspartner und strategischer Verbündeter für Washington. Es war besser, Europa nah zu halten, als es zu einem Rivalen werden zu lassen oder in die Hände eines Gegners fallen zu sehen.

Aber heute ist Europa nichts davon mehr. Noch vor 10 bis 15 Jahren war es wirtschaftlich nahezu gleichauf mit den USA; inzwischen liegt es weit zurück und deindustrialisiert sich rasch. Den großen technologischen Wettbewerb hat es faktisch verloren. Wohlfahrtssysteme, Bürokratie, Korruption und Protektionismus schwächen und ersticken die Wachstumsaussichten. Eine chaotische Migrationspolitik, die von Eliten geführte Einschränkung von Freiheiten und die „liberale“ Unterdrückung politischer Gegner – einschließlich Abscheulichkeiten wie der Annullierung von Wahlen in Mitgliedstaaten wie Rumänien, wenn „falsche“ Ergebnisse herauskommen – garantieren lediglich noch mehr soziale und politische Dysfunktion.

Warum sollte die USA unter diesen Umständen Europa noch brauchen – und welche Strafe oder welcher geopolitische Nachteil entstünde ihr, wenn sie Europa sich selbst überließe? Ohne Erfahrung eigenständiger Machtausübung und seit 1945 ausschließlich im Schatten amerikanischer Stärke auf der Weltbühne handelnd, haben die Europäer den Bezug zur bescheidenen Realität ihrer tatsächlichen Lage verloren. Die Ukraine-Friedensgespräche, bei denen Europa auf die erniedrigendste Weise außen vor gelassen wurde, zeigen endlich die wahre Größe der europäischen Macht – und das Bild ist das eines zweitklassigen Akteurs, der bestenfalls hofft, die Ereignisse vom Rand aus indirekt beeinflussen zu können.

Die bittere Wahrheit ist: Vor allem wegen Europas Schwäche sowie seiner politischen Fehlschläge in Bezug auf die Ukraine und sogar die USA ist das politische Rückgrat der transatlantischen Beziehung – jenes Rückgrat, das dem „Westen“ über 80 Jahre lang Bedeutung verliehen hat – nun gebrochen. Institutionelle Rahmen wie die NATO bestehen offiziell zwar weiter, doch politisch und strategisch gehen die USA und Europa inzwischen faktisch getrennte Wege. Für Europas Status als eines der großen Machtzentren der Welt ist dies ein tödlicher Schlag – und der Endpunkt eines langen Niedergangs.

Während Europa sich von der Hauptbühne der globalen Machtpolitik zurückzieht, scheint Russland nach dreißig Jahren ‚Wüstenzeit‘ seit dem Zerfall der Sowjetunion erneut auf diese Bühne zurückzukehren. Dies geht über eine bloße Rückkehr zu direkten Gesprächen zwischen den USA und Russland zur Lösung großer geopolitischer Fragen – wie in den alten Tagen des Kalten Krieges oder bei hochrangigen Gipfeltreffen wie in Alaska – weit hinaus.

Unglücklicherweise scheint eine wesentliche Realität hinter diesem erneuten Aufstieg Russlands zu stehen: Der Krieg hat Russlands militärische Stärke nicht geschwächt, sondern gestärkt. Seine Wirtschaft hat sich als äußerst robust erwiesen; wie der liberale Ökonom Adam Tooze kürzlich in seinem Podcast eingestand, führt Moskau den Krieg wirtschaftlich geradezu ‚ohne ins Schwitzen zu geraten‘. Politisch steht nach vier Jahren Krieg nicht Russland unter Druck, sondern die Ukraine; Putin hingegen hat sein Bündnis mit China gefestigt und Russlands Ansehen im Globalen Süden weiter gestärkt. Sollte der Krieg mit einem Ergebnis enden, das eher als ein Sieg Russlands denn als ein Sieg der Ukraine interpretiert wird, so könnte dies allgemein als Wiederherstellung russischer Macht betrachtet werden. Das Narrativ Moskaus wäre, dass Russland gegen den gesamten Westen gekämpft – und gewonnen – hat.

Große Kriege neigen dazu, die Struktur und sogar das Gewebe der Weltordnung zu verändern. Auch wenn der Ukrainekrieg offiziell noch nicht beendet ist, kann man bereits jetzt sagen, dass dies im Gange ist. In den letzten Jahren wurde häufig betont, dass die Beziehungen zwischen den USA und China aufgrund ihres Supermachtstatus das wichtigste Element der internationalen Politik seien. Dies deutet darauf hin, dass die Welt wieder bipolar werde und China die Rolle der ehemaligen UdSSR einnehme – weshalb von einem „Kalten Krieg 2.0“ gesprochen wird.

In diesem Zusammenhang erscheint der beliebte Rahmen der „Multipolarität“ letztlich falsch, denn weder Europa noch Indien – oft als weitere „Pole“ bezeichnet – zeigen eine glaubwürdige Fähigkeit, das entscheidende Kriterium für einen solchen Status zu erfüllen: nämlich einen großen Krieg zwischen Großmächten erfolgreich führen zu können.

Das Problem besteht darin, dass Russland aufgrund seiner militärischen Leistung seit 2022 unter diesem Maßstab als eine Großmacht erster Kategorie gelten könnte. Wirtschaftlich spielt es nicht in derselben Liga wie China oder die USA, und auch seine globale politische Einflusskraft ist geringer. Doch angesichts der militärischen Performance Russlands und seiner diplomatischen Beziehungen sowohl zu den USA als auch zu China erscheint es ebenso falsch, Russland mit anderen wichtigen Akteuren – einschließlich Europa – in eine einzige Kategorie einzuordnen.

Daher könnte der beste Weg, Russlands Stellung im Weltsystem nach vier Jahren intensiven Krieges zu verstehen, zumindest vorläufig darin bestehen, Russland näher bei den beiden großen Mächten einzuordnen als bei allen anderen Ländern, Europa eingeschlossen. Sollte sich diese Annahme bewahrheiten – und endgültige Klarheit kann erst das Kriegsergebnis selbst bringen –, dann lautet die offensichtliche Schlussfolgerung, dass die Weltmachtstruktur nun dreipolig ist und Russland, wenn auch der schwächste der drei, dennoch einer dieser Pole ist.

Die Folgen einer russischen Annäherung an einen „Sieg“ in der Ukraine werden im internationalen System nachhallen – und es gibt kaum Anzeichen dafür, dass die Europäer die Tragweite dessen, was ihnen bevorsteht, wirklich verstanden haben. Hoffen wir auf ein besseres Ergebnis.

Quelle: https://brusselssignal.eu/2025/12/a-new-tripolar-world-order-is-emerging-without-europe/