Ein Theaterstück: Die von den Geheimdiensten inszenierten Beziehungen zwischen Westdeutschland, der arabischen Welt und Israel, 1955–1967
Tilman Lüdke – Universität Erfurt, Deutschland
International Journal of Intelligence and CounterIntelligence – Juni 2025
Zusammenfassung
Entgegen der weit verbreiteten Ansicht, dass sich die Bundesrepublik Deutschland in den 1950er- und 1960er-Jahren aufgrund ihrer wirtschaftlichen Interessen in den arabischen Ländern sowie ihrer besonderen Beziehung zu Israel in einer komplexen Lage im Nahen Osten befand, belegen neuere Forschungen, dass Westdeutschland von Anfang an ausschließlich Israel unterstützt hat. Das deutlichste Beispiel hierfür ist der anfangs den Vereinigten Staaten unterstellte Geheimdienst, der darauf hinarbeitete, dass sich Ägypten der Sowjetunion zuwandte, wodurch die Unterstützung des Westens eingestellt wurde. In der Folge ermöglichten die Einsätze deutscher Militärberater und Raketenspezialisten die Überwachung und Beeinflussung der militärischen Entwicklungen in Ägypten, wodurch Israel seinen arabischen Feinden stets einen Schritt voraus sein konnte.
In den Jahren 2006 und 2007 veröffentlichten die US-amerikanischen Wissenschaftler Stephen M. Walt und John J. Mearsheimer einen Artikel in der London Review of Books (2006) und erweiterten diesen ein Jahr später zu einem Buch. Darin hinterfragten sie die bedingungslose Unterstützung der USA für Israel und ob diese wirklich rational sei. Auch wenn ihre Argumente zum Nachdenken anregen, sind sie aus historischer Sicht nicht völlig haltbar. Denn in den 1950er-Jahren war eine israelfreundliche US-Außenpolitik keineswegs selbstverständlich. Der israelische Außenminister und Premierminister von 1951 bis 1953, Moshe Sharett, arbeitete unermüdlich daran, einen solchen Kurswechsel in der US-Politik herbeizuführen, doch letztlich war es David Ben-Gurions Doktrin der „Massenvergeltung“, die den Ton angab. Der Überfall auf Gaza im Jahr 1955 markierte einen entscheidenden Wendepunkt in den USA. Die bedingungslose Unterstützung für Israel kam von verschiedenen Seiten. Frankreich war aufgrund seiner Gegnerschaft zum nasserschen Ägypten – das den algerischen Aufstand unterstützte – ein naheliegender Verbündeter. Doch ein weiterer Partner stand bereits in den Startlöchern: die Bundesrepublik Deutschland (BRD).
Zunächst wirkte dies überraschend. Aufgrund der von den Nationalsozialisten an den Juden begangenen Verbrechen war ein bedeutender Teil der israelischen Öffentlichkeit skeptisch gegenüber jeglichem Kontakt mit dem „Land der Mörder“. Pragmatiker in Israel dachten jedoch anders: Israel benötigte jede nur erdenkliche Hilfe. Die Bundesrepublik war von Beginn an durch eine Exekutive geprägt, die bereit war, die deutsche Verantwortung gegenüber den Juden anzuerkennen. Gleichzeitig gab es jedoch starke Kräfte – vor allem wirtschaftlicher Natur –, die auf eine arabienfreundliche Politik drängten: Wie ein arabischer Diplomat einmal ausdrückte, erhielt Israel „Geschenke“, während die arabischen Länder lukrative Abnehmer deutscher Waren und Dienstleistungen waren. Dennoch blieb der grundlegende Kurs der westdeutschen Politik israelfreundlich, wobei auch konservative prowestliche arabische Staaten als befreundete Partner angesehen wurden. Die Haltung gegenüber den „revolutionären Staaten“, insbesondere Ägypten und Syrien, war (sowohl theoretisch als auch praktisch) trotz aller angeblich engen Kooperation distanziert und kühl. Diese Zusammenarbeit war zwar intensiv, basierte jedoch auf einem ausgeprägten deutschen Misstrauen. So agierten die Geheimdienste Ägyptens und Syriens zwar mit gutem Willen, als sie offen erklärten, in der Bundesrepublik eine Propagandaorganisation gegründet zu haben, um die deutsche Außenpolitik in arabienfreundliche Bahnen zu lenken (Operation ORABI). (Ahmad Urabi Pascha war ein ägyptischer Nationalheld, der sich 1882 mit dem Slogan „Ägypten den Ägyptern“ gegen die britische Besatzung stellte – Anm. d. Ü.)
Der BND erkannte in diesem Schritt eine ausgezeichnete Gelegenheit und gründete das Gegenprojekt „Gegenspiel NIL“: Seine Agenten infiltrierten ägyptische und syrische Kreise in der Bundesrepublik und sammelten zahlreiche Informationen, die später mit Israel geteilt wurden. Auch die Israelis revanchierten sich mehrfach für diese Dienste.
ARABISCHE DILEMMATA: ISRAEL, SOUVERÄNITÄT UND MODERNE
Der arabische Nahe Osten wurde unmittelbar nach dem Krieg zu einem wichtigen Absatzmarkt für die deutsche Industrie; deutsche Unternehmen nahmen an Handelsmessen in der Region teil, lange bevor diplomatische Beziehungen aufgebaut wurden. Zudem wurde die arabische Welt – genauer gesagt Ägypten und Syrien – zu einem Zufluchtsort für arbeitslose deutsche Soldaten, darunter auch einige, die sich der Strafverfolgung wegen Kriegsverbrechen entziehen wollten. Schließlich wurde bald deutlich, dass der Konflikt mit Israel zwar die arabische Politik oberflächlich dominierte, das Streben nach einer sogenannten „arabischen Einheit“ jedoch durch tiefe Gräben zwischen den arabischen Staaten konterkariert wurde. Philipp A. Hirsch stellt daher zu Recht die Frage, ob man überhaupt von einer „deutsch-arabischen Politik“ sprechen könne, da trotz lautstarker panarabischer Propaganda in den 1950er- und 1960er-Jahren nie ein einheitlicher arabischer Staat entstand. Tatsächlich war die „arabische Welt“ mit einer Vielzahl an Problemen konfrontiert, die den Konflikt mit Israel mitunter in den Hintergrund treten ließen. Es erscheint berechtigt, die 1950er- und 1960er-Jahre als „Ära Abd an-Nasir“ zu bezeichnen: Der ägyptische Präsident schien in dieser Zeit sowohl den arabischen als auch den regionalen Diskurs zu dominieren. Ebenso berechtigt ist jedoch die Infragestellung von Gamal Abdel Nassers „Dominanz“: Der ägyptische Präsident sah sich oft – vielleicht sogar überwiegend – gezwungen, auf Faktoren zu reagieren, die außerhalb seiner Kontrolle lagen. Das katastrophale Ergebnis des Krieges von 1967 war größtenteils auf die politische und militärische Zersplitterung der arabischen Welt zurückzuführen.
Diese Situation lässt sich auch an den westdeutsch-arabischen Beziehungen nach 1965 verdeutlichen: Die diplomatische Anerkennung Israels durch die Bundesrepublik in jenem Jahr führte zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit allen arabischen Staaten. Doch nicht alles war verloren, denn der arabische Kalte Krieg tobte mit unverminderter Härte weiter – und dies spielte den Westdeutschen in die Hände. Die „offizielle“ Bundesrepublik hatte möglicherweise an Ansehen eingebüßt, doch für den Bundesnachrichtendienst (BND) galt dies nicht. Im Gegenteil: Der westdeutsche Auslandsgeheimdienst übernahm nahezu eine diplomatische Funktion. Jordanien und – in geringerem Maße – Saudi-Arabien erklärten, dass der Abbruch der Beziehungen dem „Straßendruck“ geschuldet gewesen sei; wobei diese „Straßen“ zumeist in Kairo lagen. Tatsächlich stellte Jordanien unmittelbar nach dem Sechstagekrieg 1967 die diplomatischen Beziehungen wieder her, und andere Mitglieder des konservativen arabischen Lagers folgten bald darauf. Dieser Schritt war höchst bedeutungsvoll: Während konservative, westlich orientierte arabische Staaten dazu tendierten, den Bruch mit Bonn zu überwinden, taten dies die sogenannten progressiven und revolutionären Kräfte nicht. Innerhalb von zwei Jahren nach dem Sechstagekrieg erkannten Irak, Sudan, Syrien, Südjemen und Ägypten (sowie Kambodscha) schließlich die Deutsche Demokratische Republik offiziell an. Es verwunderte daher nicht, dass die Jewish Telegraphic Agency freudig vermerkte, dass Ägyptens Entscheidung de facto das endgültige Ende der Beziehungen zu Bonn bedeutete. Während ein Großteil der bisherigen Literatur dies als ernsthaften Nachteil für die Bundesrepublik wertet, argumentiert dieser Beitrag, dass Bonn dies als einen akzeptablen Preis für die Unterstützung Israels ansah – des einzigen verlässlichen westlichen Verbündeten im Nahen Osten.
ISRAEL: SCHURKENSTAAT ODER WESTLICHER LIEBLING?
Israel beeindruckte nicht nur durch seine militärische Stärke, mit der es den Arabisch-Israelischen Krieg von 1948–1949 gewann, sondern auch durch die Geschwindigkeit, mit der es sich zu einem voll funktionsfähigen Staat entwickelte. Die Sicherheitsstruktur, die von den Streitkräften bis hin zu verschiedenen Geheimdiensten reichte, zeichnete sich bald durch ein hohes Maß an Professionalität aus – ein markanter Unterschied zu den arabischen Staaten, deren Armeen und Nachrichtendienste tief in politische Machtkämpfe verstrickt waren. Der Grund für diesen Unterschied war leicht zu erkennen: Während die israelischen Sicherheitskräfte auf den Schutz des jüdischen Staates ausgerichtet waren, verfolgten arabische Armeen und Geheimdienste häufig innenpolitische Machtziele. In den Worten von Tim Mackintosh-Smith: Die Araber kämpften heftig darum, den „Stock“ unter sich aufzuteilen; Israels „Stock“ hingegen war geeint – und damit äußerst wirksam.
Israel wurde schnell zu einem wichtigen Verbündeten des Westens in einer Region, in der linksgerichtete, aber nicht unbedingt sowjetfreundliche Akteure als gefährliche Störer westlichen Einflusses galten. Das war zum Zeitpunkt der Staatsgründung keineswegs selbstverständlich. Als der Staat Israel im Mai 1948 ausgerufen wurde, war es die Sowjetunion – und nicht etwa die USA –, die als erstes Land seine Unabhängigkeit anerkannte. Diese Tatsache mag angesichts der heutigen engen Beziehungen zwischen Israel und den USA verwundern, war jedoch damals vollkommen logisch: Der Zionismus hatte stets eine starke sozialistische Komponente. Tatsächlich hatte Israel bis in die zweite Hälfte der 1950er-Jahre zwar eindeutig „einen Fuß im Nahen Osten“, aber es war unklar, ob dieser Fuß dem Westen oder dem Osten zuzuordnen war. Während des Krieges von 1948/49 war die kommunistische Tschechoslowakei Hauptwaffenlieferant der israelischen Streitkräfte (IDF), und zunächst war es die Sowjetunion, die Israel mit Erdöl belieferte. Auch innerhalb der israelischen Führung herrschte Uneinigkeit: Eine von Mosche Scharet angeführte Fraktion strebte engere Beziehungen zum Westen an, während David Ben-Gurion und seine Anhänger der Meinung waren, Israel könne sich die freie Wahl seiner Verbündeten nicht leisten. Nahum Goldmann schlug eine neutrale Linie zur Normalisierung der Beziehungen mit den arabischen Staaten vor. Diese Idee erklärt nicht nur, warum sich Israel nach der Sueskrise 1956 von den USA distanzierte, sondern auch, warum es 1952 trotz massiver Opposition sowohl in Israel als auch in der jüdischen Öffentlichkeit in den USA Beziehungen mit dem „Land der Mörder“ aufnahm. Der BND verstand das israelische Dilemma sehr wohl; er betrachtete den Kalten Krieg als wesentlich gefährlicher als den Konflikt zwischen arabischem Nationalismus und Zionismus. Es wurde erkannt, dass „der Kalte Krieg das Potenzial hatte, die Position des Westens in der Region zu schwächen, da sowohl arabischer Nationalismus als auch der Ostblock nicht davor zurückschrecken würden, die kolonialen Tendenzen des Westens gegen diesen auszuspielen.“
Während die rhetorische Empörung in der arabischen Welt über die Gründung des jüdischen Staates immer lauter wurde, zeigte sich die arabische Politik hinter den Kulissen weitaus pragmatischer: In den späten 1950er-Jahren wurden geheime Verhandlungen geführt, um den Konflikt mit Israel zu lösen. Die westdeutschen Geheimdienste waren über die Einzelheiten der in der Schweiz abgehaltenen, jedoch letztlich gescheiterten Gespräche informiert. Noch bedeutender war die Einschätzung eines BND-Analysten, der bemerkenswert zutreffend Nassers Dilemma analysierte: Der ägyptische Präsident hätte möglicherweise in jener Zeit Frieden mit Israel bevorzugt, aber die in der arabischen Welt wütende Welle des radikalen, anti-zionistischen Nationalismus machte dies faktisch unmöglich. Diese Dynamik trieb Ägypten und das „radikale“ arabische Lager in Richtung Ostblock. Der Analyst erwähnte jedoch nicht, dass diese „Hinwendung zum Osten“ ursprünglich auf eine deutsche Initiative in den frühen 1950er-Jahren zurückging, die auf amerikanische Anregung hin lanciert worden war. Diese verdeckten deutschen Aktivitäten bilden das zentrale Thema dieses Beitrags. Zwei Fallstudien veranschaulichen dieses Vorgehen: Erstens die entscheidende Rolle des deutschen Wirtschaftsberaters Dr. Wilhelm Voss im ägyptischen Wirtschaftsministerium beim sogenannten „tschechischen Waffenabkommen“, das auch als „Bonner Waffenabkommen“ bezeichnet werden könnte. Zweitens die bedeutende Rolle westdeutscher Experten im ägyptischen Raketenprogramm der 1960er-Jahre. Diese Experten waren eine wertvolle Informationsquelle über Ägyptens militärische Entwicklungen und konnten Israel entscheidende Erkenntnisse liefern, um einen strategischen Vorsprung zu bewahren.
DAS (TSCHESCHE ODER BONNER) WAFFENABKOMMEN: DER TODESKUSS DER SOWJETUNION FÜR ÄGYPTEN
Avi Shlaim behauptete, dass Israel mit seinem Überfall auf Gaza im Jahr 1955 seine militärische Überlegenheit überreizt und Präsident Nasser dadurch „versehentlich in die Arme sowjetischer Waffen getrieben“ habe – was ihn veranlasste, nach Waffenlieferanten zu suchen. Dieser Beitrag stellt diese These in Frage: Er argumentiert, dass die Bundesrepublik Deutschland eine zentrale Rolle bei Nassers Hinwendung zur Sowjetunion gespielt hat. Dank der deutschen Militärberater, die vor der Revolution in Ägypten tätig waren, verfügte die Bundesregierung über tiefgreifende Kenntnisse der strukturellen Schwächen der ägyptischen Armee. Nasser benötigte ohnehin einen Waffenlieferanten – und dieser hätte ein westliches Land sein können (wodurch das westliche Bündnis zwischen den Unterstützern Israels und seinem mächtigsten arabischen Gegner gespalten worden wäre).
Doch indem Ägypten sowjetische Waffen akzeptierte und somit „teilweise kommunistisch“ wurde, verärgerte es die stärkste westliche Macht – die USA – so sehr, dass diese, trotz früherer Sympathien für die Revolution und deren Ziele, nie wieder daran dachten, Nasser zu unterstützen. Dieses politische Manöver funktionierte perfekt: Ägypten verlor nicht nur jegliche militärische Hilfe des Westens, sondern auch eine entscheidende Finanzierungsquelle für sein wichtigstes Infrastrukturprojekt – den Assuan-Staudamm. Die US-Regierung, insbesondere unter dem dominierenden Einfluss von Außenminister John Foster Dulles (laut Finer), war tief enttäuscht und zog im Sommer 1956 ihr Angebot zur Finanzierung des Dammes zurück.
Der vorliegende Beitrag vertritt die These, dass Nasser mit dem sogenannten „tschechischen Waffenabkommen“ von 1955 keinen Sieg errang, sondern durch die Vermittlung einer westdeutschen Wirtschaftsdelegation unter Leitung von Dr. Wilhelm Voss zum Waffenkauf von der Sowjetunion verleitet wurde. Einige Publikationen berichten, Voss habe eine NS-Vergangenheit gehabt, sich offen gegen das neue demokratische Regime der Bundesrepublik gestellt und sich begeistert an der Bewaffnung Ägyptens gegen den jüdischen Staat Israel beteiligt. Diese „Erzählung“ wird jedoch durch Dokumente aus den BND-Archiven relativiert. Laut diesen Unterlagen wollte Voss vielmehr Karriere in der Bundesrepublik machen und handelte im Auftrag der Bundesregierung. Seine NS-Vergangenheit (und seine offen gezeigte Sympathie für das NS-Regime) diente als perfekte Tarnung, um Ägyptens Beschaffungsstrategien in eine sowjetfreundliche Richtung zu lenken.
Diese Interpretation stützt sich auf mehrere widersprüchliche Details in den Quellen: Erstens führten die Auseinandersetzungen zwischen dem westdeutschen Botschafter Dr. Günther Pawelke und Voss zu keinerlei Konsequenzen für Letzteren. Stattdessen wurde Pawelke vom Leiter des Auswärtigen Amts ermahnt. Zweitens schien Nasser selbst erkannt zu haben, dass die westdeutschen Vertreter nicht im Interesse seines Landes handelten – wie ließe sich sonst erklären, dass er Voss öffentlich einen Lügner nannte, wie das deutsche Magazin Der Spiegel begeistert berichtete? Diese Geschichte verdient eine ausführlichere Darstellung.
Kurz nach seiner Ankunft in Ägypten sah sich Pawelke mit einem unerwarteten Problem konfrontiert. Nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens zwischen der Bundesrepublik und Ägypten im Jahr 1951 war Voigt 1952 als erster Botschafter in Kairo angetreten. In Kairo lebte eine große deutsche Kolonie, in der Dr. Wilhelm Voss eine bedeutende Rolle spielte – er war Berater im ägyptischen Wirtschaftsministerium. Voss war 1951 nach Ägypten gekommen und hatte eine wichtige Funktion im Ministerium übernommen. Einer seiner Verantwortungsbereiche war der Waffeneinkauf. Obwohl er bereits vor der Revolution von 1952 nach Ägypten gekommen war, behielt er seine Position. Voss stand einem Expertenteam vor, zu dem unter anderem die drei tschechoslowakischen Ingenieure Kostrum, Prandl und Nowinek gehörten. Wichtig ist festzuhalten, dass diese Tatsache den westdeutschen Behörden bereits vor September 1955 bekannt war. Damals, als ehemaliger Direktor der Škoda-Werke (später als Hermann-Göring-Werke umbenannt) im Protektorat Böhmen und Mähren, nutzte Voss zweifellos mit Hilfe seiner tschechischen Kollegen seine Position – was für den Westen zu einem großen Verlust führte. Denn mit dem sogenannten tschechischen Waffenabkommen gelang es der Sowjetunion erstmals, nach 150 Jahren britischer Abwehr im Nahen Osten Fuß zu fassen.
Ägypten erhielt große Mengen moderner sowjetischer Waffen, wenngleich später häufig zu beobachten war, dass ältere Waffen an Länder des Globalen Südens zu Dumpingpreisen weiterverkauft wurden. Obwohl Voss später aus der ägyptischen Regierung ausschied, blieben seine tschechischen Kollegen weiterhin im Amt. Das tschechische (bzw. Bonner) Waffenabkommen war das erste von vielen ähnlichen Abkommen zwischen Ägypten und der Sowjetunion. Sie ermöglichten nicht nur die umfassende Modernisierung und Aufrüstung der ägyptischen Streitkräfte, sondern verhinderten auch dauerhaft eine Annäherung zwischen dem Nasser-Regime und dem zunehmend distanzierten Westen.
In den Jahren bis zum Sechstagekrieg 1967 erkannte Nasser jedoch zunehmend, dass die sowjetischen Waffenlieferungen allein nicht ausreichten, um die Verteidigung ägyptischer Territorien zu gewährleisten. Um Israel effektiv entgegentreten zu können, waren Offensivwaffen nötig. Da die Lieferung solcher Waffen mit erheblichen politischen Komplikationen verbunden war, entschieden sich die Ägypter schließlich, auf die modernste Waffe jener Zeit zu setzen: Raketen.
RAKETE: DIE EVOLUTION EINER STRATEGISCHEN WAFFE
Ein Blick auf die Berichterstattung der westdeutschen Medien Ende der 1950er- und Anfang der 1960er-Jahre, insbesondere im Magazin Der Spiegel, offenbart eine zusammenfassende Darstellung der liberal-linken Kritik an der Nahostpolitik der von den Christdemokraten unter Konrad Adenauer und seinem Nachfolger Ludwig Erhard dominierten Bundesregierung. Der Spiegel kritisierte scharf die angeblich arabienfreundliche Ausrichtung der Regierung; dabei äußerte das Magazin eine besonders heftige Antipathie gegenüber den westdeutschen Wissenschaftlern, die es Nasser ermöglicht hätten, seine „Zigarren abzufeuern“ – eine metaphorische Anspielung auf Raketenstarts.
Im 20. Jahrhundert wurde militärische Strategie zunehmend von der Verfügbarkeit aktueller Waffensysteme geprägt. Bis zur Nachkriegszeit konnte man jedoch sagen, dass technologische Innovationen die Verteidigung gegenüber dem Angriff bevorzugten: Militärhandbücher empfahlen dem Angreifer ein zahlenmäßiges Übergewicht von 3:1, um Erfolg zu haben. Zumindest an der entscheidenden Westfront zeigte der Erste Weltkrieg, wie Angriffswellen brutal an immer ausgeklügelteren Verteidigungsanlagen scheiterten. Selbst die Luftwaffe konnte das von General Giulio Douhet 1921 formulierte Szenario nicht verwirklichen: „Kein Mensch auf der Erde kann ein Flugzeug daran hindern, sich frei in der dritten Dimension zu bewegen. Alle Kräfte, die bisher Kriege bestimmten, sind unfähig, auf den Luftkrieg einzuwirken.“ Douhets Vision schien sich in den letzten Kriegsjahren des Zweiten Weltkriegs mit den verheerenden Bombardierungen deutscher und japanischer Städte zu bestätigen. Doch die enormen Verluste an Flugzeugen und Besatzungen sowie die immer effektiver werdenden Gegenmaßnahmen führten dazu, dass Militärplaner und Waffendesigner einsehen mussten: Flugzeuge waren nicht die allmächtigen Waffen, als die sie ursprünglich erschienen. Eine Alternative bot sich an: Raketen – insbesondere gelenkte Raketen, vor allem seit Beginn der Forschung zu Massenvernichtungswaffen (WMD). Diese Waffen bewegten sich mit mehreren Mach-Geschwindigkeiten und schienen kaum abwehrbar zu sein – was Raketenforschung als militärisch vorteilhaft erscheinen ließ.
Doch auch psychologische Faktoren sollten nicht unterschätzt werden. Ralf Pulla beschreibt anschaulich, wie in Deutschland, der UdSSR und den USA die Raketenforschung durch mehr oder weniger sachkundige Enthusiasten, Fantasten und Idealisten begann – Menschen, die sich eher für Raumfahrt als für militärische Zwecke interessierten. Erst als militärische Institutionen (besonders ausgeprägt in Deutschland) diese Programme übernahmen, entwickelten sich daraus ernsthafte Waffenentwicklungsprojekte.
RAKETENENTWICKLUNG IM HISTORISCHEN KONTEXT
Eine keineswegs vollständige Durchsicht der Literatur zur Entwicklung, Stationierung und Nutzung von Raketen sowie zur damit eng verknüpften Verbreitung von Massenvernichtungswaffen zeigt eine Reihe weitgehend anerkannter Tatsachen auf: Die Entwicklung von Raketen ist zeitaufwendig, kostspielig und erfordert technisches und intellektuelles Know-how; ist dieses im Inland nicht vorhanden, muss es importiert werden. Als Waffe ist die Rakete – insbesondere ohne Massenvernichtungswaffen – unzuverlässig, ungenau, schwer zu bedienen und teuer. Ihr einziger Vorteil ist die Fähigkeit, gegnerischen Luftraum zu durchdringen und Ziele weit hinter der Front zu treffen – eine Fähigkeit, die oft überschätzt wird. Die historische Erfahrung zeigt, dass solche Hoffnungen nicht immer gerechtfertigt waren. Der Einsatz deutscher Raketen gegen Ziele in Großbritannien und später Belgien konnte den völligen Zusammenbruch des NS-Regimes nicht verhindern. Im Gegenteil: Einige Zahlen verdeutlichen das Ausmaß dieses Fehlschlags. Die V-1, eine technisch primitive Marschflugkörperwaffe, verursachte mehr Opfer und Schaden als die hochentwickelte V-2. Und: „Die V-2 war die einzige Waffe, die mehr Menschen bei ihrer Herstellung tötete als bei ihrem Einsatz“ – eine erschütternde Bilanz.
Selbst in industrialisierten Ländern war die Raketenentwicklung eine äußerst komplexe Unternehmung, die große Mengen Zeit und Geld erforderte. Technisches Fachwissen war entscheidend – in Ländern wie Ägypten, wo dies nicht verfügbar war, musste es aus dem Ausland importiert werden. Verschiedene Industrienationen wählten unterschiedliche Wege zur Raketentechnologie. Die USA, die Sowjetunion, Frankreich und Großbritannien begannen unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg mit entsprechenden Programmen – parallel zu ihren Atomwaffenprojekten. Deutsche Experten spielten in der Anfangsphase eine bedeutende Rolle, die jedoch – mit Ausnahme der zivilen Raumfahrt in den USA – schnell an Bedeutung verlor. Frankreich ließ sich kaum von deutschen Wissenschaftlern beeinflussen, startete aber ein bemerkenswert eigenständiges Raketenprogramm. Dabei fiel auf, dass das Streben nach Unabhängigkeit mitunter über Qualität und Effizienz gestellt wurde.
Diese eigenständige französische Linie war insofern ungewöhnlich, als viele europäische NATO-Staaten (mit Ausnahme Großbritanniens) gemeinsame Projekte verfolgten. London hingegen entschied sich, nach anfänglichen Versuchen der Eigenentwicklung, aufgrund der enormen Kosten und Komplexität, die benötigten Systeme direkt von den USA zu erwerben.
RAKETENENTWICKLUNG IN ÄGYPTEN
Das ägyptische Raketenprogramm ist gut dokumentiert. Im Hinblick auf das Thema dieses Artikels sind drei Aspekte besonders relevant: die Notwendigkeit, technisches Fachwissen aus dem Ausland zu beschaffen; die teilweise verdeckte Beschaffung von Materialien; und die Tatsache, dass das Raketenprogramm nicht zu militärisch wirksamen Waffen führte. Das Projekt umfasste die Anwerbung zahlreicher technischer Fachkräfte sowie den Bau entsprechender Fertigungsanlagen. Der Bundesnachrichtendienst (BND) verfügte über gute Informationen zum Personal: Die Akten enthielten die Namen von über 500 Personen aus West- und Ostdeutschland, Österreich, Spanien und verschiedenen anderen Ländern. Die führenden Konstrukteure waren Westdeutsche: Professor Eugen Sänger, Wolfgang Pilz, Paul Goercke sowie Dr. Hans Kleinwächter. Die drei Professoren akzeptierten das Angebot aus Ägypten aus finanziellen und beruflichen Gründen: Die Bezahlung war sehr gut, und sie konnten zudem Forschungen betreiben, die von der westdeutschen Regierung aus überwiegend politischen Gründen kaum gefördert wurden.
Bis Mitte der 1960er Jahre gelang es ihnen, je nach Quelle, zwei oder drei funktionsfähige Raketen zu entwickeln, die durchaus respektable Leistungen zeigten. Ihre Effektivität blieb jedoch durch den unausweichlichen Zielkonflikt zwischen Reichweite und Nutzlast beschränkt. Die „Al-Safir“ (Der Reisende) hatte eine Reichweite von 560 Kilometern und konnte Ziele in ganz Israel erreichen, ihre Nutzlast betrug jedoch nur 100 Kilogramm. Demgegenüber konnte die schwerere „Al-Nasir“ oder „Al-Qahir“ (Der Sieg) eine Tonne über 230 Kilometer transportieren – was ihre Einsatzmöglichkeiten auf den südlichsten Teil Israels beschränkte. Damit war klar: Nur mit unkonventionellen Gefechtsköpfen hätten diese Raketen schwerwiegende Schäden verursachen können.
In Zusammenarbeit mit Israel untersuchte der BND das ägyptische Potenzial zur Entwicklung von ABC-Waffen (atomar, biologisch, chemisch). Zwar fanden sich keine Hinweise auf Aktivitäten im Bereich biologischer Waffen, jedoch deuteten Materialbestellungen auf dem internationalen Markt darauf hin, dass Ägypten aktiv an der Entwicklung chemischer Kampfstoffe arbeitete. Nervengase wie Tabun und Sarin waren ägyptischen oder internationalen Wissenschaftlern zugänglich, allerdings nur in Mengen, die „für Laborversuche ausreichen, jedoch keinesfalls als Kriegswaffen einsetzbar“ seien. Ein Bericht aus dem Jahr 1969 schätzte, dass etwa eine Tonne chemischer Substanzen notwendig wäre, um ein Gebiet von zehn Quadratkilometern wirksam zu kontaminieren. Angesichts der industriellen Kapazitäten Ägyptens erschien daher die selektive Anwendung chemischer Waffen auf einzelne Ziele wahrscheinlicher – oder schlicht das Ziel, entsprechendes Wissen für die Zukunft zu erwerben.
Einige Besorgnis galt jedoch den bereits vorhandenen Beständen. Ägypten hatte in der Vergangenheit chemische Waffen eingesetzt: 1963 und 1966 verwendeten 67 ägyptische Soldaten Giftstoffe gegen royalistische Kräfte im Jemen. Die meisten dieser Waffen stammten offenbar aus sowjetischer Lieferung. Die eingesetzten Substanzen (Senfgas, Phosgen) waren dieselben wie im Ersten Weltkrieg eingesetzten Kampfstoffe, vermutlich aus alten britischen Granatenbeständen – entweder direkt von der Sowjetunion geliefert oder mit sowjetischer Hilfe in der Chemikalien- und Pestizidfabrik Abu Zaʾbal in Kairo produziert. Israel war sich offenbar der Bedeutung Abu Zaʾbals als Produzent chemischer Waffen bewusst. Dies könnte auch den mutmaßlich gezielten israelischen Luftangriff erklären, bei dem zahlreiche Menschen ums Leben kamen. Ein solcher Angriff war möglicherweise als präventive Maßnahme gedacht, um den Einsatz gefährlicher Massenvernichtungswaffen durch Ägypten zu verhindern.
Die größte Besorgnis jedoch galt der Möglichkeit, dass Ägypten an der Entwicklung von Nuklearwaffen arbeitete. Der BND stellte rasch fest, dass das Land in diesem Bereich weit hinter Israel zurücklag. Die ägyptische Forschung und Entwicklung im Nuklearbereich litt unter denselben Problemen wie die Raketen- und Flugzeugprojekte: unüberwindbare technische Schwierigkeiten und zunehmender Mangel an finanziellen Mitteln. Ohne ABC-Gefechtsköpfe blieben die Raketen zwar theoretisch einsetzbar, aber als Angriffswaffen weitgehend nutzlos.
Dennoch herrscht unter zeitgenössischen Beobachtern wie späteren Analysten Einigkeit darüber, dass die Raketen Ägyptens – unabhängig von ihrer tatsächlichen Leistungsfähigkeit – für die arabische Bevölkerung eine bedeutende psychologische Wirkung hatten. Westliche Geheimdienste räumten überraschend unumwunden ein, dass dieser psychologische Faktor in der arabischen Welt von besonderem Belang sei. So stellt etwa Raphael Patai in seiner umfassenden Studie über den „arabischen Geist“ fest, dass bestimmte rhetorische Eigenschaften wie mubalaghah (Übertreibung) und tawkid (Überbehauptung) fest in einer Kultur verwurzelt seien, in der Ehre und Gesicht über anderen Werten stünden – neben dem Reichtum der arabischen Sprache.
Heute wissen wir: Das ägyptische Raketenprogramm der 1960er Jahre brachte keine verlässlichen und treffsicheren Raketen hervor, die mit einsatzfähigen Sprengköpfen Israel ernsthaft hätten schaden können. Tatsächlich ließe sich im Kontext gelenkter Raketen eine alternative Zeitrechnung für die arabischen Staaten rechtfertigen: „vor SCUD“ (v.S.) und „nach SCUD“ (n.S.). Es ist verlockend, Lazzerinis Urteil aufzugreifen: „Was Clio hier verzeichnete, war eine mutige Anstrengung in einer verlorenen Sache.“
ISRAELS GEGENREAKTIONEN: THEATER UND REALITÄT
Israel scheute nicht vor Mord, Entführung, schwerer Körperverletzung und Erpressung zurück, um dem militärischen F&E-Programm Ägyptens entgegenzuwirken. Dr. Heinz Krug, der Chef-Buchhalter von INTRA in Deutschland, verschwand spurlos; sein Schicksal wurde erst 2022 durch Danny Orbach aufgedeckt. Briefbomben an deutsche Experten in Israel töteten und verletzten ägyptische Post- und Zollbeamte und blendeten Prof. Pilz’ persönliche Sekretärin Hannelore Wende. In Lörrach wurde ein (gescheiterter) Mordanschlag auf Dr. Kleinwächter verübt; israelische Agenten in der Schweiz drohten Prof. Görkes Tochter Heidi, um ihren Vater zur Rückkehr aus Ägypten zu bewegen. Israel fürchtete sich offensichtlich sehr vor den ägyptischen Waffen. Das stand jedoch in starkem Kontrast zu deren tatsächlicher Leistungsfähigkeit. General Saad al-Shazly, der spätere Generalstabschef der ägyptischen Streitkräfte, war wohl die am besten geeignete Person, um die Raketen realistisch zu beurteilen. Über seine Enttäuschung hinsichtlich des Versagens des inländischen Raketenprogramms im Krieg von 1967 schrieb er:
„Dass die hochgepriesene Geheimwaffe Ägyptens, die Al-Qahir-Rakete, nicht zum Einsatz kam, ist leider eine beschämende Geschichte. Seitdem Anfang der 1960er Jahre Informationen durchgesickert waren, dass Ägypten eine eigene Kurzstreckenrakete entwickle, war Al-Qahir Teil ägyptischer Folklore geworden… Als wir 1967 besiegt wurden, kamen natürlich Fragen auf: ‚Wo war Al-Qahir?‘ Es gab keine Antwort.“
Später, als Generalstabschef, erhielt al-Shazly Zugang zu geheimen Dokumenten, die das dunkle Labyrinth dieser Waffen offenbarten, und berichtete, dass er „erschüttert“ über „beschämende“ Details wie „Millionenverschwendung, heimliche Einstellung der Arbeiten [und] anschließende Täuschungsmanöver der Verantwortlichen“ war. Die Leistung dieser Waffen war miserabel: Die angeblich furchteinflößende Al-Qahir-Rakete, die Nasser einst als fähig pries, Ziele südlich von Beirut zu treffen, war in Wirklichkeit nicht mehr als ein gigantischer Mörser mit einer Reichweite von etwa fünf Meilen; doch im Gegensatz zu einem Mörser wog die Rakete 2.540 Kilogramm und hatte eine extrem geringe Trefferwahrscheinlichkeit. Al-Shazly fasste diese Rakete so zusammen: „Abgesehen von der Sprengkraft des Gefechtskopfs war Al-Qahir eine mittelalterliche Waffe.“
Trotz der beschämenden Einschränkungen der Al-Qahir- und Al-Safir-Raketen modernisierte das Technische Institut der ägyptischen Streitkräfte im Jahr 1971 sowohl die Raketen als auch deren Abschussvorrichtungen. Bermudez berichtet, dass das Institut einen Werfer entwickelt hatte, der vier kleinere Al-Safir-Raketen gleichzeitig abfeuern konnte. Am Vorabend des Krieges von 1973 verfügte Ägypten über vier Al-Qahir-Werfer mit zwanzig Raketen sowie über vier Al-Safir-Werfer mit achtzig Raketen.
Auf den ersten Blick scheint der Versuch Ägyptens, eine unabhängige Industrie zur Herstellung von Hochtechnologiewaffen aufzubauen, gescheitert zu sein. Doch wie Owen H. Sirrs in seiner beeindruckenden Studie betont, ist insbesondere bei Raketen der rein „materielle“ Faktor nicht alles. Die Herstellung und Stationierung solcher Hightech-Waffen kann das internationale Prestige und die Position eines Landes stärken und bei potenziellen Feinden eine tiefgreifende psychologische Wirkung entfalten. Tatsächliche Mängel oder Engpässe – zweifellos auch durch finanzielle Krisen beeinflusst – änderten wenig daran. Letztlich wandte sich Ägypten, wie viele andere Entwicklungsländer, zuerst an die Sowjetunion und nach 1973 zunehmend an die USA als Waffenlieferanten und wusste dabei, die Bedingungen des Kalten Krieges geschickt zu nutzen. Doch wie Sirrs betont, zeigte die intensive Zusammenarbeit mit neuen Partnern, dass Ägyptens Traum von einer eigenständigen Raketenproduktion nie ganz aufgegeben wurde.
Den BND-Akten zufolge wussten die Westdeutschen – etwas überspitzt formuliert – über jede Schraube Bescheid, die beim Zusammenbau der ägyptischen Raketen verwendet wurde. Sie wussten nicht nur um die Schwächen der Raketen, sondern auch, dass die Ägypter keine ABC-Gefechtsköpfe herstellen konnten. Selbst wenn die Raketen funktionstüchtig gewesen wären, hätten sie Israel lediglich gestört, aber keinesfalls das militärische Gleichgewicht in der Region verändert. Der BND hätte anders handeln können: Er hätte den Ägyptern mitteilen können, dass sie enorme Mengen an Geld, Zeit und Mühe verschwendeten. Andererseits hätte man die Israelis beruhigen und damit einige der Ereignisse verhindern können, die zu Verletzten und dem Tod von Dr. Heinz Krug führten. Warum wurde dieser Weg nicht gewählt?
Das Schweigen des BND folgt einer zynischen, aber letztlich vollkommen überzeugenden Logik. Einerseits wurde das ägyptische Raketenprogramm größtenteils von Westdeutschen geleitet, doch die Aussage von Prof. Hans Kleinwächter, dass Techniker leicht aus dem Ostblock hätten rekrutiert werden können, ist ernst zu nehmen; in diesem Fall wäre es für den BND wesentlich schwieriger geworden, an sensible Informationen zu gelangen. Zweitens wurden alle benötigten Materialien von westlichen oder neutralen Ländern beschafft; das Weiterbestehen des Raketenprogramms verhinderte so, dass Geld in die Kassen des Ostblocks floss.
Das Dreieck wird noch deutlicher, wenn man sich fragt, warum Israel nicht informiert wurde. Der BND (und die Bundesregierung) wussten, wie unpopulär die besondere Beziehung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel in der arabischen Welt war. Andererseits wussten alle Seiten des Dreiecks, dass Bonn zwischen zwei Stühlen saß. Was die arabische Seite vermutlich nie wusste (oder akzeptierte), war, dass Informationen aus arabischen Ländern an Israel weitergegeben wurden – umgekehrt jedoch nicht. Mit anderen Worten: Tel Aviv war über die Schwächen der Raketen im Bilde. Die große Aufregung um die Raketenentwicklung wurde damit zu einem Theaterstück, in das sogar ranghöchste Regierungsvertreter eingebunden waren. Alle Seiten schienen eine gut choreografierte Inszenierung aufzuführen: Bundeskanzler Adenauer wurde von der israelischen Außenministerin (und späteren Premierministerin) Golda Meir moralisch angegriffen, indem sie darauf verwies, dass deutsche Wissenschaftler nur zwei Jahrzehnte nach dem Holocaust wieder an Waffen zur Vernichtung von Juden arbeiteten. Adenauer entgegnete, dass die Wissenschaftler nicht gegen deutsches Recht verstoßen hätten und ihre Arbeit daher nicht verhindert werden könne. Schließlich wurden die Experten mit einem Arbeitsangebot in die Bundesrepublik zurückgeholt, wo sie an von der Bundesregierung finanzierten und organisierten Raketen- und Luftfahrtprogrammen arbeiteten – also genau die Umkehrung ihrer „Flucht“ Anfang der 1960er Jahre. Es gibt keinen Grund zu glauben, dass dies für die Bundesrepublik ein „Verlust“ war – im Gegenteil, westdeutsche Firmen konnten so Zugang zu einem profitablen Markt erlangen und ihren Wert als Verbündete im westlichen Lager unter Beweis stellen.
Die militantesten Aktivitäten Israels mögen spektakulär gewesen sein, aber letztlich waren sie nicht sehr wirkungsvoll. Es mag zynisch erscheinen, den Tod einiger Menschen als geringfügig zu betrachten, doch man muss festhalten, dass die israelische Luftwaffe 1967 keine Raketenabschussbasen, sondern Flughäfen und Flugzeuge angriff und diesen Basen wenig Bedeutung beimaß. Das deutsch-israelische Theater diente auch als perfektes Mittel, um die tatsächlichen israelischen Rüstungsentwicklungen im Nahen Osten zu verschleiern und zu legitimieren. Einerseits ging Israel eine Forschungs- und Entwicklungskooperation mit dem französischen Dassault-Konzern ein und ermöglichte so die Entwicklung der Jericho-Raketen; noch berüchtigter (und wie die Jericho-Raketen nie offiziell von der israelischen Regierung anerkannt) war jedoch Israels Nuklearprogramm. Infolge dieses Programms erlangte Tel Aviv Ende der 1960er Jahre die Kontrolle über Atomwaffen.
FAZIT
Anstatt im Arabisch-Israelischen Konflikt neutral zu bleiben, unterstützte die Bundesrepublik Deutschland Israel entschlossen auf offenen und verdeckten Wegen. Dies bedeutete zum einen, Ägypten in Richtung eines Waffenabkommens mit dem Ostblock zu lenken und zum anderen, sich in Ägyptens Raketenentwicklungsprogramm einzuschleusen. Während erstere Maßnahme effektiv verhinderte, dass Ägypten sich mit den westlichen Mächten arrangierte, lieferte letztere Bonn und Tel Aviv sämtliche Details zu Ägyptens Raketenprogramm und ermöglichte es so Tel Aviv, die wirksamsten Strategien zu formulieren und schließlich 1967 einen überwältigenden militärischen Sieg zu erringen. Die diplomatische Anerkennung Israels durch die Bundesrepublik im Jahr 1965 – die zum Bruch der diplomatischen Beziehungen mit den arabischen Staaten führte – vervollständigte die bereits bestehende Allianz zwischen Bonn und Tel Aviv.