Ein Märchen der Neutralität: Die BBC und ihre Gaza-Prüfung
Die British Broadcasting Corporation (BBC), die im Jahr 1922 gegründet wurde, ist die älteste und einflussreichste öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt des Vereinigten Königreichs. Die BBC arbeitet auf Grundlage der Royal Charter und erklärt, sich an Prinzipien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wie Neutralität, Unabhängigkeit und Wahrhaftigkeit zu halten. Doch ihre direkte Finanzierung durch öffentliche Gelder, die Ernennung ihrer Führungskräfte durch die Regierung sowie die symbolische Verbindung zum Königshaus haben die BBC bisweilen in eine Position gebracht, die mit staatlichen Interessen übereinstimmt. Diese widersprüchliche Struktur hat insbesondere in der Außenpolitik- und Kriegsberichterstattung Diskussionen über die institutionellen Interessen der BBC und ihre Funktion bei der Beeinflussung der öffentlichen Meinung ausgelöst. Zudem hat der israelische Völkermord in Gaza das wahre Gesicht der BBC deutlich zum Vorschein gebracht. Die Sprache, die die BBC zur Darstellung des Genozids in Gaza verwendet, steht klar im Widerspruch zu dem seit Jahren verteidigten Anspruch auf Neutralität.
Es wurde festgestellt, dass die BBC in ihrer Berichterstattung über Israel und Gaza für vergleichbare Ereignisse unterschiedliche Begriffe verwendet und die menschliche Dimension der Opfer unterschiedlich hervorhebt. Ein Bericht des Centre for Media Monitoring (CfMM) zeigt, dass die BBC das Verb „killed“ bei israelischen und palästinensischen Todesfällen nahezu gleich häufig benutzt, während sie in Bezug auf Gaza deutlich häufiger auf den neutraleren Ausdruck „died“ („starb“) zurückgreift. So hieß es am 9. Oktober 2023 auf der BBC-Website: „Mehr als 700 Menschen in Israel wurden getötet“, während gleichzeitig formuliert wurde: „Mehr als 500 Menschen in Gaza starben.“ CfMM betont außerdem, dass stark wertende Begriffe wie „massacre“ ausschließlich für israelische Opfer in Überschriften verwendet werden, wohingegen solche Begriffe in Bezug auf Gaza nicht vorkommen. Derselbe Bericht hebt hervor, dass Adjektive wie „atrocities, slaughter, barbaric, brutal“ in Berichten über israelische Opfer etwa viermal häufiger vorkommen als in Berichten über Gaza. Das Verb „murder(ed)“ wird 220-mal im Zusammenhang mit Israelis genutzt, jedoch nur ein einziges Mal für Palästinenser. Auch der Begriff „butchered“ („abgeschlachtet/zerstückelt“) taucht ausschließlich in Bezug auf israelische Opfer auf, während für palästinensische Opfer kein vergleichbarer Ausdruck gewählt wurde.
Auch die Begriffswahl der BBC ist Gegenstand ähnlicher Kritik. Die redaktionellen Richtlinien des Senders sehen vor, den Ausdruck „terrorist“ zu vermeiden, da dieser emotional aufgeladen sei und einseitige Urteile fördern könne; stattdessen werden neutralere Begriffe wie „militant, attacker, bomber“ empfohlen. So bezeichnet die BBC Hamas-Mitglieder in ihrer Berichterstattung als „militants“, während indirekte Formulierungen wie „proscribed terrorist organisation“ nur selten verwendet werden. Auch in der westlichen Presse ist weitgehend dieselbe Ausdrucksweise „Hamas-Milizen“ zu beobachten. Kritiker behaupten jedoch, dass diese Politik palästinensische Gruppen von einer asymmetrischen Terrordefinition ausnehme, während sie gleichzeitig vermeide, israelische Verantwortliche, die ähnliche Verstöße begehen, als „Terroristen“ zu bezeichnen. Auf der anderen Seite versuchen einige, den Ansatz der BBC zu rechtfertigen, indem sie argumentieren, man sei „nicht dafür da zu entscheiden, wer gut oder böse ist“. Die Kritik verweist jedoch darauf, dass dieses Neutralitätsnarrativ in der Praxis zur Unsichtbarmachung der Menschlichkeit der Palästinenser führt.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass in der von der BBC verwendeten Sprache ein systematischer Doppelstandard erkennbar ist. Während für Palästinenser passive Begriffe wie „died“ („starb“) verwendet werden, findet man im Falle der Israelis dramatischere Begriffe wie „killed“ oder „slaughtered“. Die Reservierung des Begriffs „massacre“ ausschließlich für Ereignisse, bei denen Juden getötet wurden, sowie die häufige Wiederholung von Etiketten wie „Hamas-run Ministry of Health in Gaza“ werden als Beispiele für eine asymmetrische Humanisierung der Opfer interpretiert. Die von der BBC bevorzugte israelfreundliche Sprache scheint so systematisch zu sein, dass sie weder mit Zufall noch mit journalistischer Methodik erklärt werden kann. Tatsächlich werden Palästinenser in den BBC-Berichten „entmenschlicht“.
Wachsende Kritik
Die vermeintliche Neutralitätskrise der BBC wurde zudem durch heftige Kritik aus den eigenen Reihen sichtbar. Im Jahr 2025 protestierten Hunderte von Menschen vor dem BBC-Gebäude, weil die Gazaberichterstattung des Senders ihrer Ansicht nach der Propaganda Israels diene. Unter den Protestierenden befanden sich auch über hundert BBC-Mitarbeitende, die Videos an Zeitungen und Fernsehsender geschickt hatten. In ihren an die Generaldirektion und den Verwaltungsrat gerichteten Briefen warfen die Mitarbeitenden den BBC-Verantwortlichen vor, aus politischen Gründen Zensur zu betreiben. Als Beispiel nannten sie die Verzögerung und anschließende Streichung der unabhängig produzierten Dokumentation „Gaza: Doctors Under Attack“, die angeblich aus „Neutralitätsbedenken“ unterdrückt worden sei. In dem Schreiben wurde hervorgehoben, dass die BBC aus Angst davor, die israelische Regierung zu kritisieren, die Wahrheit nicht ehrlich mit der Öffentlichkeit teile; die Mitarbeitenden betonten, dass die Organisation „nicht im Sinne unabhängiger Berichterstattung, sondern unter dem Einfluss von Lobbygruppen und PR-Kampagnen“ handele. Weiter heißt es, dass die Besorgnis der BBC um ihr Erscheinungsbild — die perception of partiality — in Wirklichkeit das Kernproblem der Institution sei und dass „die Angst der Organisation ihre Arbeit ebenso sehr untergräbt wie die Inhalte, die sie ausstrahlt“. Zudem kritisierte das Schreiben, dass die BBC die Konflikte in Gaza fast nie im Zusammenhang mit britischen Waffenexporten und der völkerrechtlichen Dimension des Krieges behandele, während konkurrierende Medien solche Themen durchaus aufgriffen.
Auch akademische und zivilgesellschaftliche Organisationen äußerten ähnliche Kritik. Der CfMM-Bericht von 2025 zeigte, dass die BBC palästinensische Todesfälle als unschuldige, passive Ereignisse darstellte, während israelische Opfer mit aktiven Begriffen wie „Hamas attack“ beschrieben wurden. Laut Bericht verschwieg die BBC bei Todesmeldungen aus Gaza häufig die Verantwortlichkeit, indem sie überwiegend „died“ nutzte, während sie bei israelischen Todesfällen klar zwischen Täter und Opfer unterschied, indem sie „killed“ verwendete. Neben diesen sprachlichen Unterschieden zeigte der Bericht, dass über israelische Todesfälle insgesamt 33 % häufiger berichtet wurde (33-fache Sichtbarkeit pro Todesfall). Auch Geiseln und Inhaftierte wurden asymmetrisch dargestellt: Israelis galten als „hostages“, während Palästinenser, die in Gaza festgehalten wurden, schlicht als „detainees“ bezeichnet wurden — ein Sprachgebrauch, der als Teil israelischer Propagandamuster interpretiert wurde. In den Briefen und Berichten wurde zudem festgehalten, dass BBC-Reporter Gäste unterbrachen, die von einem „echten Genozid“ sprachen; der Begriff „Genozid“ sei über hundertmal zurückgewiesen oder zensiert worden, während vergleichbare Anschuldigungen gegen Israel kaum jemals ernsthaft aufgegriffen wurden. Auch Begriffe wie „war crimes“ wurden in den BBC-Texten weitgehend vernachlässigt: Israelische Angriffe auf Palästinenser seien nur in 121 Artikeln — also etwa drei Prozent — als mögliche Kriegsverbrechen bezeichnet worden.
Auch Forschungsarbeiten zu den allgemeinen Tendenzen der westlichen Medien zeigen ähnliche Befunde. Eine im Intercept veröffentlichte Analyse weist etwa nach, dass Zeitungen wie die New York Times, die Washington Post und die Los Angeles Times in über 1.000 Artikeln israelische Todesfälle mit Begriffen wie „slaughter, massacre“ beschrieben, während solche stark wertenden Ausdrücke für Todesfälle in Gaza nahezu gar nicht verwendet wurden. Während die Tötungen von Palästinensern meist passiv mit „killed“ oder „died“ wiedergegeben werden, kommen im Fall israelischer Opfer Begriffe wie „massacre“ aktiv zum Einsatz. All diese Kritiken stützen die Feststellung, dass die BBC und andere westliche Medienanstalten einen Berichterstattungsansatz verfolgen, der westlich-zentrierte Deutungsmuster und mitunter auch säkulare Traditionen reproduziert.
Gaza-Dokumentationen
Auch die von der BBC kürzlich ausgestrahlten oder abgelehnten Gaza-Dokumentationen dienen thematisch als Beispiele für diese Kritik. Die Dokumentation „Gaza: Doctors Under Attack“ zeigt Beweise dafür, dass medizinisches Personal in Gaza gezielt vom israelischen Militär ins Visier genommen wurde. Der Film dokumentiert, dass das Personal in den Krankenhäusern von Gaza nicht einmal durch das Völkerrecht geschützt ist, sondern im Gegenteil absichtlich beschossen, festgenommen und gefoltert wurde – belegt durch Videoaufnahmen und Zeugenaussagen. Die Dokumentation wurde vom Panorama-Team der BBC produziert, jedoch im Februar 2025 von der BBC-Leitung mit der Begründung zurückgezogen, sie könne „der Neutralität schaden“. Channel 4 hingegen widersetzte sich dieser Entscheidung und sendete den Film am 2. Juli 2025, wobei betont wurde, dass er „Beweise für gravierende Verstöße gegen das internationale Recht sorgfältig untersucht“. Die Nachrichtenchefin von Channel 4, Louisa Compton, erklärte, der Film sei ein Beispiel für „mutigen Journalismus im öffentlichen Interesse“ und gehe sorgfältig mit den schwerwiegenden Vorwürfen gegen Israel hinsichtlich des Angriffs auf das Gesundheitssystem in Gaza um. Die BBC jedoch begnügte sich damit, die Rechte am Film an das Produktionsunternehmen zurückzugeben, und obwohl sechs Sendetermine geplant waren, wurde der Film mit Verweis auf die BBC-Neutralitätsstandards vollständig gestrichen. Das Produktionsstudio bezeichnete diese Entscheidung als „Zum-Schweigen-Bringen der Stimmen aus Gaza“ und warf der BBC vor, den Journalismus zu behindern.
Auch eine weitere Dokumentation, die aus der Perspektive eines Kindes gestaltet ist, wurde eingeschränkt. Der Film „Gaza: How Do You Escape a Warzone?“ erzählt das Leben eines 13-jährigen Kindes, das im Kriegsgebiet aufwächst. Nachdem der Film ausgestrahlt worden war, stellte sich jedoch heraus, dass der Vater des Kindes stellvertretender Minister in der Hamas-Regierung war. Daraufhin entfernte die BBC den Film aus der BBC iPlayer-Mediathek und entschuldigte sich mit dem Hinweis auf einen Verstoß gegen interne Richtlinien. Britische Medien bezeichneten dies als schwerwiegenden Verstoß gegen journalistische Sorgfalt; die Regulierungsbehörde Ofcom leitete eine Untersuchung ein.
Die inhaltliche Analyse dieser Dokumentationen zeigt einen Ansatz, der im Widerspruch zur allgemeinen Programmstrategie der BBC steht. Produktionen wie „Doctors Under Attack“ rücken die menschliche Tragödie der Palästinenser in den Vordergrund und versuchen, durch die Geschichte einzelner Personen wie Ärzte und Pflegekräfte Empathie zu wecken. Im Gegensatz zur gängigen Linie des britischen Mediensektors verurteilen diese Werke Israels aggressive Haltung offen, was zu Kritik führte – und mit dem angeblichen Neutralitätsverständnis der BBC kollidierte. Andererseits enthält auch der Kinderfilm eine Erzählung, die den zivilen Widerstand in Gaza positiv darstellt, doch der redaktionelle Fehler (die politische Verbindung des Erzählers) beschädigte die Glaubwürdigkeit der BBC. Kritiker argumentieren, dass das Neutralitätsnarrativ der BBC in der Praxis durch Angst und politische Erwägungen geprägt sei und dass das Blockieren solcher Produktionen eher einen „PR-Trieb“ als echten Journalismus erkennen lasse. Die Neutralitätsvorstellung der BBC konzentriere sich häufig mehr darauf, „wie man wirkt“, statt die Realität abzubilden, und ziele darauf ab, mächtige Akteure nicht zu verärgern. Dieser Ansatz überschattet jedoch die journalistische Pflicht zur Wahrhaftigkeit und verschärft insbesondere in Krisen wie Gaza das Problem ungerechter Repräsentation.
Diese Beobachtung lässt sich im Rahmen der Medientheorien zur Repräsentation und der Analyse des Orientalismus interpretieren. Kritische Medienwissenschaftler betonen, dass westliche Medien bei der Berichterstattung über die palästinensische Seite häufig eine „Othering“-Perspektive einnehmen und das menschliche Leid unsichtbar machen. So betrachtet der Westen Palästinenser, wie etwa hervorgehoben, noch immer durch eine Linse aus „Kolonialismus, weißer Vorherrschaft und Islamophobie“. In diesem Kontext wird es alltäglich, dass Palästinenser in den Medien „starben“, während Israelis „massakriert wurden“. Solche strukturellen Darstellungen rahmen Gaza nicht als Ort, an dem Menschen mit Geschichten leben, sondern als reine „Gewaltzone“. Doch wie Edward Said in seiner Kritik des Orientalismus betonte, ignorieren solche Darstellungen die Menschlichkeit des palästinensischen Volkes und dienen dazu, Fragen nach moralischer Verantwortung zu verschleiern. In diesen konstruierten Narrativen wird Israels Selbstverteidigungsdoktrin meist unkritisch akzeptiert, während palästinensischer Widerstand automatisch mit Terror assoziiert wird.
Schlussfolgerung
Zusammengefasst werden die Ursachen für diese weitverbreiteten Tendenzen innerhalb der BBC und anderer westlicher Institutionen zunehmend hinterfragt. Wie das Beispiel der BBC zeigt, führen institutionelle redaktionelle Vorurteile und politische Einflussnahme dazu, dass der „Neutralitäts“-Diskurs faktisch verzerrt wird. Die israelfreundliche Berichterstattung ist nicht BBC-spezifisch, sondern in vielen westlichen Medienorganisationen systemisch verankert und führt — zugunsten des Zionismus — zu Abweichungen von journalistischen Grundprinzipien. Dadurch entstehen erhebliche Vertrauensverluste bei Publikum und Leserschaft.