Die Wohlstandsverwöhnten
Ich weiß, viele von euch werden einwenden und Beispiele nennen, dass zumindest ein Teil derer, die fromm erscheinen, in Wirklichkeit genau das Gegenteil von dem tun, was sie sagen. Und ja, ich weiß, dass ich fast allen dieser Beispiele zustimmen werde – ja, ich werde sogar nicht umhinkönnen, noch weitere Beispiele hinzuzufügen, die diese Sicht stützen. Deshalb versuche ich schon seit langer Zeit klarzumachen, dass es nicht genügt, fromm zu wirken, dass es gefährlich ist, nur auf die Fassade der Frömmigkeit zu vertrauen, und dass ohne die Tugenden von Kritik und Selbstkritik überhaupt nicht von „Frömmigkeit“ die Rede sein kann.
Trotzdem sage ich: Für die Lösung der ökonomischen Ungerechtigkeiten ist neben gesellschaftlichem und rechtlichem Engagement auch ein spirituell begründeter Blick unverzichtbar. Spiritualität ist notwendig – sowohl um im Kampf gegen Neid, Habgier und Raffgier, gegen Verschwendung, Horten, Zins und Wucher auf moralische Tugenden zu bauen, als auch um Genügsamkeit, Spendenbereitschaft und Solidarität existenziell zu stützen. Aber dafür muss vor allem das Verständnis von Religion erneuert werden: Unsere Haltung zu den religiösen Pflichten, die oft lediglich formal erfüllt werden, ohne dass sie auf die Reifung des Selbst, die Umgestaltung der Persönlichkeit abzielen, muss korrigiert werden. Mit der Frömmigkeit müssen immer auch die dazugehörigen Tugenden genannt werden – und die Begriffe, die wie das Wort „Mütref“ in diesem Beitragstitel die hohle Frömmigkeit entlarven, müssen ständig präsent gehalten werden. Lassen Sie mich das erläutern.
Ist der Islam gegen Reichtum?
Der im Koran gebrauchte Begriff „Mütref“ scheint eine sozioökonomische Lebenshaltung zu bezeichnen. In den klassischen Koranexegesen wird „Mütref“ beschrieben als: „jemand, der in Fülle lebt und diese Gaben auf eine Weise nutzt, die dem Wohlgefallen Gottes widerspricht, sodass er Seinem Zorn verfällt; jemand, der Wohlstand und Vergnügen sucht, im Überfluss lebt, während er die religiösen Pflichten wie das Gebieten des Guten und das Verwehren des Bösen vernachlässigt, das Paradies vergisst, die Welt bevorzugt, das Jenseits aufgibt und sich den Freuden der Welt hingibt, während er in seinem Leben kaum Platz für moralische Bedenken lässt.“ (vgl. Nurettin Turgay, Bilimname XII, 2007/1, S. 75–99).
Von dieser Definition ausgehend, haben einige Intellektuelle das Verhältnis des Islams zu Reichtum und Reichen im Lichte des Begriffs „Mütref“ diskutiert. Einige dieser Ausführungen sind tatsächlich erhellend. Einer davon stammt von dem verstorbenen Gelehrten Faruk Beşer (siehe: Yeni Şafak Artikel).
Faruk Beşer beginnt mit den Worten: „Wenn man bestimmte Verse nur mit Vorurteilen liest, könnte man meinen, dass der Koran gegen die Reichen und den Reichtum sei.“ Und er fährt fort: *„Tatsächlich sind nach dem Koran die Hauptverursacher der Verderbnis auf Erden jene Reichen, die im Überfluss und in Ausschweifung leben. Für solche Menschen wird in vielen Versen der Begriff ‚Mütref‘ verwendet. Mütref ist derjenige, der ein verantwortungsloses und überhebliches Leben im Überfluss führt, dadurch Gott und die Hingabe an Ihn vergisst und letztlich die Menschen in die Irre führt. Man könnte auch sagen: der Kapitalist.
‚Wenn Wir beschließen, eine Stadt zu vernichten, dann befehlen Wir ihren im Überfluss Verwöhnten, sich zu verderben; und so erfüllt sich an ihnen das Wort, und Wir zerstören die Stadt von Grund auf.‘ (Sure al-Isra, 16).
So ist es: Die Hauptursache für das Abwenden vom Gottesdienst, das Vergessen Gottes (dhikr), das Unterdrücken der Schwachen und dafür, dass Reichtum zu einer tyrannischen Macht wird, die die Armen erdrückt, liegt im unkontrollierten, maßlosen Reichtum.
Doch an keiner Stelle im Koran wird der Besitz von Vermögen oder die Reichen an sich verurteilt. Alles Böse entsteht erst, wenn Reichtum dazu benutzt wird, die Schwachen zu unterdrücken und Gott zu trotzen. In diesem Fall bietet der Reichtum dem Menschen mehr Gelegenheiten zur Sünde als die Armut – und so ist der Reiche schlimmer dran als der Arme. Dabei wurde die Welt insgesamt für den Menschen erschaffen. Wer sein Ziel nicht verfehlt, kann alles besitzen. Reichtum ist in Wahrheit eine Gnade, eine Gabe Gottes. Vielleicht am wichtigsten: Der Koran bezeichnet Vermögen mit dem Begriff ‚Qiyam‘. ‚Gebt euer Vermögen, das Allah für euch zum Qiyam (zum Aufrechtstehen, zur Beständigkeit) gemacht hat, nicht denen, die es schlecht verwenden.‘ (Sure an-Nisa, 5). Qiyam bedeutet sowohl Aufstehen als auch das Fortbestehen im Stehen. Das heißt: Wer gefallen ist, kann ohne weltlichen Besitz nicht aufstehen; und wer steht, kann nur durch Besitz aufrecht bleiben. Es geht also im Kern darum, das Vermögen auf legitime Weise zu erwerben und es nach dem Erwerb richtig zu kontrollieren. Kurz: Diejenigen, die die Welt aufbauen, sind die Reichen – und diejenigen, die sie verderben, ebenfalls.“*
Aber das reicht nicht!
Ich glaube nicht, dass jemand diesen Einschätzungen widersprechen wird – aber bei einem Satz wie „Die Reichen sind es, die die Welt sowohl aufbauen als auch ruinieren“ dürfen wir es nicht belassen; wir dürfen uns nicht damit zufriedengeben, nur zu predigen, mit welchen Zielen und wie Reichtum verwendet werden soll. Gerade in der modernen Welt sind rund um die Begriffe Reichtum und Klasse riesige Ideologien, mächtige soziologische und politische Konzepte entstanden – während ringsum das Chaos tobt, können wir nicht mit einer hochtrabenden moralischen Terminologie, wie jemand, der singend über den Friedhof geht, an der Sache vorbeireden. Hätten wir das nicht getan, müsste es in der islamischen Welt heute eine gewaltige Literatur darüber geben, wer eigentlich die Reichen sind, die die Welt verderben.
Stattdessen – von ein paar Werken abgesehen, die beim Thema Zakat nicht über blumige moralische Rhetorik hinauskommen – herrscht völlige Stille. Faruk Beşer bezeichnet die Kapitalisten als „Mütref“, doch niemand fragt ernsthaft nach, ob das wirklich so ist. Es wirkt fast so, als herrsche ein seltsames, unerklärliches Einvernehmen, dass die Aussagen des Buches, an das Muslime glauben, über Reichtum nicht weiter thematisiert werden sollten. Dabei wissen wir alle, dass es Menschen gibt, die genau der Definition des „Mütref“ entsprechen: Sie verweigern ihren Arbeitern eine gerechte Entlohnung, bezeichnen sich aber dennoch als „Muslime“ – ja sogar als konservativ. Fallen diese Personen unter die Kategorie, die der Gelehrte lapidar als „Kapitalisten“ bezeichnet? Niemand fragt, niemand untersucht. Die islamische Gedankenwelt und die akademische Welt liegen in einer Lethargie, die seit Jahren wie ein Winterschlaf in der Wüstenhitze anhält. Das ist der erste Punkt.
Der zweite: Für den Theologen ist die Sache vergleichsweise einfach – er spricht von oben herab, und er hat kein Problem damit, sehr Verschiedenes in einen einzigen Sack zu werfen. Aber wenn man das Geschehen im Detail verstehen will, tritt sofort ein Nebel auf, der einem die klare Sicht nimmt. Zum Beispiel: Mit dem Kapitalismus – der deutlich später als alle Schriftreligionen auftritt – haben sich die Begriffe „Reichtum“ und „Akkumulation“ radikal verändert. Geld und Handelskapital gab es vorher auch. Aber Papiergeld, die industrielle Bourgeoisie und ein vollständig auf Zinsen beruhendes Wirtschaftssystem – all das entstand nur mit dem Kapitalismus. Und wenn man innerhalb dieses Systems lebt, ist der Reichtum untrennbar damit verbunden. Man kann zwar meinen, man habe sich durch ein pseudo-paralleles Teilsystem befreit – aber niemand, besonders nicht die Herren des Systems, glaubt einem das. In einem solchen System aber: Was meinen wir überhaupt, wenn wir von „Reichen“ und von „Reichtum“ sprechen? Zählen dazu etwa auch die Finanzkapitalisten, die sich vom Produzieren völlig zurückgezogen haben und durch bloßen Geldhandel fett geworden sind? Wir verstehen es nicht. Und so werden wir unweigerlich zu denen, die glauben, ohne zu verstehen.
Nicht missverstehen: Es geht nicht darum, ob der Islam Reichtum verteidigt oder verdammt. Unser Fehler ist, dass wir uns in dieser Frage einsperren. Die eigentliche Frage lautet: „Was geschieht unter kapitalistischen Bedingungen in der muslimischen Welt, wie beeinflusst das unseren Glauben, und was muss in dieser Situation geschehen?“ – hier müssten wir beginnen, zu denken, zu schreiben und zu sprechen. Doch leider tun die muslimischen Denker – und vor allem die Theologen und Akademiker – nicht, was ihre Pflicht wäre: Sie sind träge und nehmen den bequemen Weg. Das ist der Kern meiner Aussage.
Deshalb bevorzuge ich es, anstelle von Formeln wie „Der Koran erlaubt Reichtum und Reiche, aber nur unter der Bedingung, dass …“ im Rahmen der umfassenden Geisteshaltung des Islam zu sprechen – unter den Überschriften von Tugenden wie „Almosengeben (Infak)“ und „Genügsamkeit“. So vermeide ich, zu jenen zu gehören, die ohne Verstehen glauben oder schweigend nichts hinterfragen. Wenigstens bewege ich mich in den Bereichen, die ich glaube zu kennen. Und ich tröste mich mit dem Gedanken, dass ich – falls es eines Tages zu meinen Lebzeiten in der muslimischen Welt ernsthafte Überlegungen und akademische Publikationen über Klassenverhältnisse und Konsumformen geben sollte – dann über die Psychologien schreiben kann, die deren Grundlage bilden.