Die Unterstützung des Westens für Israel reißt alte Wunden wieder auf
Postkoloniale Abrechnung: Wie Israels Krieg gegen den Iran alte Wunden wieder aufreißt
Während die Illusion der Straflosigkeit bröckelt, hat Tel Aviv ein Feuer entfacht, das es nicht mehr kontrollieren kann. Teheran hingegen hat sich jahrzehntelang auf diesen Moment vorbereitet.
Israel verbirgt seine Verbrechen nicht mehr. In Gaza führt es einen offenen Völkermord durch – es zerstört Krankenhäuser, Schulen, Moscheen und Wohnhäuser. Mehr als 55.000 Menschen wurden getötet. Die verwüsteten Gebiete stehen vollständig unter Belagerung.
Zivilisten, erschöpft und hungrig, laufen kilometerweit durch Trümmer in der Hoffnung auf Überleben und rennen auf Hilfslieferungen zu – nur um beschossen zu werden. Manche kehren zurück mit Säcken voll Mehl, andere mit den blutüberströmten Leichen ihrer Liebsten, die auf der Suche nach Brot bombardiert und getötet wurden.
Und Gaza ist nur eine Front.
In Libanon greift Israel nach Belieben an: bombardiert Häuser, führt gezielte Tötungen über die Grenze hinweg durch, besetzt weiterhin nie verlassene Dörfer. Es hält die Golanhöhen Syriens besetzt, dringt weiter in den Süden vor und feuert Raketen auf die Außenbezirke von Damaskus.
Grenzen bedeuten nichts. Gesetze noch weniger. Israel tut, was es will, tötet, wen es will.
Jetzt richtet es sich gegen den Iran.
Nach indirekten Gesprächen zwischen Teheran und Washington im Oman begann Israel einen plötzlichen, grundlosen Krieg. Zunächst durch Attentate: Militärführer, Wissenschaftler, zivile Funktionäre. Dann durch Luftangriffe: Militäranlagen, Kraftwerke, Flughäfen – sogar zivile Infrastruktur. Der Vorwand: Irans friedliches Atomprogramm, das vollständig von der Internationalen Atomenergiebehörde überwacht wird.
Die Heuchelei des Westens
Die Heuchelei erreicht ein erschreckendes Ausmaß.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron behauptete, Irans Atomprogramm bedrohe die globale Sicherheit – und stellte sich umgehend auf die Seite Israels. Dabei war es eben dieses Frankreich, das Israel in den 1950er- und 60er-Jahren heimlich beim Bau der Dimona-Atomanlage unterstützte – der Ursprung des einzigen, nicht deklarierten Nuklearwaffenarsenals in der Region, das internationales Recht verletzt. Keine Kontrolle, keine Aufsicht, keine Rechenschaft.
Schätzungen zufolge besitzt Israel derzeit 80 bis 90 nukleare Sprengköpfe – sowie eine Zweitschlagfähigkeit über U-Boote und Flugzeuge. Es lehnt jegliche Inspektionen ab und hat den Atomwaffensperrvertrag (NPT) nie unterzeichnet. Und dennoch bombardiert es brutal den Iran im Namen der „Nichtverbreitung“ von Nuklearwaffen.
Großbritannien folgte Frankreich schnell und entsandte Jets der Royal Air Force in den Nahen Osten zur Unterstützung Israels. Die USA gingen noch weiter: Zwei Zerstörer wurden ins östliche Mittelmeer verlegt, Waffenlieferungen wurden erhöht, militärische Operationen in Echtzeit mit Israel koordiniert. Washington schaut nicht nur zu – es ist Teil des Krieges.
Auch die Europäische Kommission folgte blind dem gleichen Narrativ: „Israel hat das Recht auf Selbstverteidigung.“ Doch der Aggressor ist derzeit Israel – und der Iran verteidigt sich gegen einen ausländischen Angriff.
Dies ist das gleiche Drehbuch, mit dem der Völkermord in Gaza legitimiert wurde – das gleiche System zur Vertuschung von Verbrechen. Völkerrecht und humanitäre Normen sind außer Kraft gesetzt, sobald es um Israel geht.
Und der Westen rüstet Israel nicht aus, um Zivilisten zu schützen, sondern um die Region zu beherrschen. Das Ziel: Israel als einzige Atommacht zu erhalten. Kontrolle, Unterwerfung, Expansion.
Lassen Sie uns offen sprechen:
Israel war niemals einfach nur ein Staat. Es wurde als westliche Siedlerkolonie gegründet, um die Lücke zu füllen, die das Zurückweichen der britischen und französischen Imperien hinterließ. Großbritannien zog zwar seine Soldaten ab, gab aber seine Ziele nie auf. Die USA traten an ihre Stelle: Sie übernahmen die Rolle des Aufsehers in der Region, indem sie Tyrannen unterstützten, sich das Öl sicherten und den Widerstand unterdrückten.
Das Ziel blieb stets dasselbe:
Die Region unterwerfen, ihren Reichtum ausbeuten und ihre Völker zum Schweigen bringen.
Doch diesmal funktioniert der Plan nicht mehr.
Die arabische Welt ist wütend
Israel wird inzwischen offen und stolz von Fanatikern regiert. Minister drohen mit Vernichtung. Siedler skandieren genozidale Parolen. Soldaten filmen sich selbst, wie sie Wohnhäuser dem Erdboden gleichmachen oder mit der Unterwäsche getöteter oder vertriebener Frauen posieren. Familien werden unter Betonmassen begraben, Kinder aus Klassenzimmern ausgelöscht – alles im Namen der „Sicherheit“.
In Jerusalem wird die Al-Aqsa-Moschee, eine der heiligsten Stätten des Islam, wiederholt gestürmt. Israelische Milizen marschieren durch die Straßen und rufen: „Mögen eure Dörfer brennen.“ Sie feiern die Zerstörung von Schulen in Gaza. Der Völkermord wird nicht mehr geleugnet – er wird offen proklamiert.
Und Premierminister Benjamin Netanjahu, der Architekt von Apartheid und Krieg, behauptet vor laufenden Kameras, die „freie Welt“ zu verteidigen.
In der gesamten arabischen Welt schauen die Menschen zu – mit Schmerz, Abscheu und wachsender Wut. Ihre Führer aber schütteln den Kriegsverbrechern die Hände. Während Israel alles in Schutt und Asche legt, normalisieren sie die Beziehungen. Die Region wirkt gelähmt, machtlos.
Bis jetzt.
Denn diesmal hat jemand den Mut, aufzustehen.
Der Iran ist nicht Gaza. Er ist ein souveräner Staat mit rund 90 Millionen Einwohnern und einer Fläche von 1,65 Millionen Quadratkilometern. Seine Geografie erschwert Invasionen, seine Tiefe absorbiert Angriffe, seine Raketen reichen tief in das israelische Landesinnere. Er wurde sanktioniert, sabotiert, attackiert – aber er steht noch immer und schlägt zurück.
Zum ersten Mal seit 1948 stehen israelische Städte unter dauerhaftem Beschuss. Die Illusion der Unantastbarkeit ist zerbrochen.
Und Israel kann sich nicht mehr als Opfer darstellen – nicht mit Bomben, Atomwaffen und dem Rückhalt sämtlicher westlicher Mächte. Wer jahrzehntelang angreift und nie bestraft wird, kann diese Rolle nicht mehr spielen.
Das Wiederaufbrechen alter Wunden
Tatsächlich hat der Widerstand Irans einige Illusionen zerschlagen: den Mythos von Israels Unbesiegbarkeit, das Schweigen der Region und die Lüge von der Neutralität des Westens.
Sogar diejenigen, die früher aus sektiererischen oder politischen Gründen gegen Iran waren, applaudieren jetzt – nicht weil Iran perfekt ist, sondern weil endlich jemand „Genug!“ gesagt hat.
Und in Iran selbst ist etwas viel Tieferes erwacht. Dieser Krieg hat alte Wunden wieder aufgerissen.
Die meisten kennen das Jahr 1953: Premierminister Mohammad Mossadegh wurde gestürzt, nachdem er die Ölverstaatlichung durchgesetzt hatte – durch einen von CIA und MI6 inszenierten Staatsstreich. Die „Operation Ajax“ stürzte eine demokratisch gewählte Regierung und brachte den westlich-freundlichen Diktator Mohammad Reza Schah zurück an die Macht. In den folgenden 25 Jahren herrschte mit der vom Westen bewaffneten und ausgebildeten Geheimpolizei SAVAK Unterdrückung.
Doch diese Wunden reichen noch weiter zurück.
Anfang der 1890er Jahre, nachdem der Schah der gesamten iranischen Tabakindustrie einem britischen Unternehmen übertragen hatte, brach eine landesweite Rebellion aus. Unter Führung von Geistlichen wie Ayatollah Shirazi startete das iranische Volk einen Boykott, der schließlich die Konzession aufhob. Dieser Aufstand schwächte die Kadscharen-Dynastie und prägte das kollektive Gedächtnis Irans mit einer brennenden Lektion: Niemals wieder Fremdherrschaft akzeptieren.
Dieses Gedächtnis lebt weiter – in jedem Slogan, jedem Protest, jeder Beerdigung.
Jede heute abgefeuerte Rakete trägt den Verrat und den Widerstand eines Jahrhunderts in sich. Jetzt tritt dieser Schmerz wieder zutage.
Ein Video ging viral: Eine unverschleierte iranische Frau beklagt mit zitternder, wütender Stimme den Genozid in Gaza, das Schweigen des Westens und die jahrzehntelange Demütigung ihres Landes. Dann ruft sie aus: „Wir wollen die Atombombe!“
Es geht nicht um Zerstörung. Es geht um Würde. Es geht darum zu sagen: „Wir werden niemals wieder zerbrechen.“
Das ist nicht nur ein militärischer Konflikt, sondern eine historische Abrechnung – ein psychologischer Wendepunkt.
Iran schlägt nicht nur zurück. Iran erinnert sich.
Und diese Veränderung breitet sich aus.
An der Hoffnung festhalten
Pakistan, das einzige muslimisch dominierte Land mit Atomwaffen, schlägt Alarm. Der Verteidigungsminister warnte, die Region stehe am Rande eines Abgrunds, und der Konflikt könnte bald Pakistan erreichen. Während Israel seine Allianz mit Indien vertieft, beobachtet Islamabad genau, was passieren wird.
Auch die Türkei ist alarmiert. Präsident Recep Tayyip Erdoğan sagte im vergangenen Jahr, dass Israel, wenn es nicht gestoppt werde, bald sein Augenmerk auf die Türkei richten werde. Daraufhin kam eine düstere Antwort von Netanyahu im Knesset: „Das Osmanische Reich wird nicht bald wieder errichtet.“ Das ist keine Geschichtsstunde, sondern eine Warnung. Die Türkei weiß, dass es nicht nur um Iran geht; es ist eine Kampagne zur Wiederherstellung absoluter Kontrolle über die Region.
Von westlicher Unterstützung berauscht und unkontrolliert glaubt Israel nun, die gesamte muslimische Welt unterwerfen zu können: durch Bombardierung, Hungern, Zerstückelung und Erniedrigung.
Doch die Region erwacht. Dieser Krieg ist ein Krieg um Ehre; ein Krieg gegen jene, die den Mut haben, in dieser Region ihr Haupt zu erheben.
Dennoch klammert sich der Westen weiterhin an Illusionen. Die BBC führt ein Interview mit dem Sohn des Schahs und fragt, ob Israels Luftangriffe Iran „befreien könnten“. Als ob das iranische Volk auf den Sohn eines Diktators wartet, den sie mit eigenen Händen gestürzt haben, um sie zu retten. Als ob „Freiheit“ aus Raketen und Monarchien käme.
Israel glaubte, die Vergangenheit wiederholen zu können: Attentate, Bomben, dann die Siegesverkündung. Doch jetzt stehen Tel Aviv, Haifa und Ashkelon unter Beschuss.
Der Krieg hat nun israelisches Territorium erreicht. Die Illusion der Unbesiegbarkeit ist vorbei.
Und Iran kann standhalten. Jahrzehntelang hat es sich auf diesen Moment vorbereitet. Der Traum, Israel könnte Iran in wenigen Tagen vernichten, ist ausgeträumt.
Tel Aviv hat ein Feuer entfacht, das es nicht kontrollieren kann. Und der Westen? Er steht wieder hinter Israel – ungeschminkt. Bewaffnet, schützt und benutzt es. Nicht für Frieden oder Gerechtigkeit – sondern für Kontrolle.
Doch diesmal ist die Region wachsam. Die Abrechnung hat begonnen.
Die Geschichte schreitet weiter. Und diesmal könnte sie nicht zugunsten des Westens ausgehen.
Quelle: https://www.middleeasteye.net/opinion/israels-attack-iran-brings-west-closer-its-day-reckoning