Deutschlands Falscher Generationenkonflikt: Das Boomer-Bashing
Wie Boomer-Bashing Politisches Versagen Verschleiert
Sind die Babyboomer wirklich schuld an Deutschlands Problemen? Der unglücklicherweise gefährliche Ton der jüngsten Krisendebatte in Deutschland wurde durch einen großen Streit ausgelöst, der zwischen dem CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz und der Jungen Union, dem Jugendverband seiner eigenen Partei, ausbrach.
Auf dem Treffen der Jungen Union in der vergangenen Woche wurde Merz sichtbar bloßgestellt, als die Delegierten sich weigerten, eine von ihm mit dem Koalitionspartner SPD ausgehandelte Rentenvereinbarung zu unterstützen. Einige Medien spekulieren sogar, dieser Streit könne zum Sturz der Regierung führen. Und obwohl es an dieser unbeholfenen Regierung viel zu kritisieren gibt, gibt es an diesem Rentendrama rein gar nichts zu feiern.
Die Diskussion erscheint auf den ersten Blick um „Generationengerechtigkeit“ zu kreisen, doch in Wirklichkeit spiegelt sie ein giftiges Gemisch aus Ängsten wider: die Furcht vor einer alternden Bevölkerung, Sorgen über staatliche Ausgaben und eine tief sitzende Abscheu davor, Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen. Offenbar werden Deutschlands tiefste politische und moralische Verwirrungen durch das Prisma eines künstlich erzeugten „Generationenkonflikts“ verzerrt.
Als das deutsche Rentensystem 1957 vom konservativen Kanzler Konrad Adenauer eingeführt wurde, bewahrte es Millionen ältere Deutsche, die zwei Weltkriege überstanden hatten, vor der Armut. Das umlagefinanzierte System, gekoppelt an die Lohnentwicklung, garantiert den Rentnern 48 Prozent ihres früheren Bruttoeinkommens. Adenauers optimistische Maxime – „Die Menschen werden immer Kinder bekommen“ – beruhte auf der Annahme eines dauerhaften Wirtschaftswachstums.
Doch da die Wirtschaft stagnierte und Millionen Babyboomer das Rentenalter erreichten, wich dieser Optimismus zunehmend düsterem Pessimismus. Deutschland hat heute die neuntälteste Bevölkerung der Welt, und bis 2035 werden voraussichtlich rund fünf Millionen Arbeitnehmer fehlen. Das System benötigt jährlich über 100 Milliarden Euro Steuergelder zusätzlich zu den Beiträgen der Beschäftigten. Während in den 1960er-Jahren sechs Erwerbstätige einen Rentner finanzierten, sind es heute nur noch zwei – und dieser Wert dürfte weiter sinken.
Die Wiederholung eines Elite-Narrativs
Doch die Existenz eines Problems anzuerkennen, darf junge Konservative nicht dazu verleiten, ältere Bürger zu Schuldigen zu erklären. Sie imitieren damit lediglich das Narrativ der deutschen links-grünen Elite.
„Boomer-Bashing ist Deutschlands neueste intellektuelle Mode“, schreibt der Ökonom Peter Bofinger – eine Anspielung auf Marcel Fratzschers Buch Nach uns die Zukunft. Darin erhebt Fratzscher den drastischen Vorwurf, seit der Aufklärung habe keine Generation ihren Kindern so viele Chancen genommen wie die heutigen Babyboomer.
Es ist besorgniserregend, dass so viele junge CDU-Mitglieder und andere Konservative dieses Narrativ unkritisch übernehmen. Denn wenn Deutschland tatsächlich ein Finanzierungsproblem hat – was offenkundig der Fall ist –, dann hat es ein noch größeres politisches Problem: eine Regierung, die unfähig ist, über zentrale Themen konstruktiv zu debattieren, und eine allgemeine Abwesenheit historischer Vorstellungskraft oder des Mutes, uns aus dieser Sackgasse herauszuführen.
Eine zerfallende Partei
Der Rentenstreit zeigt zudem, wie tief die CDU innerlich zerrissen ist. Der Jugendverband hat diesen Konflikt bewusst gesucht – denn es war einfacher, sich darauf zu stürzen, statt sich den drängenden Fragen der Energie- oder Migrationspolitik oder der ungeliebten Koalitionsdisziplin zu stellen, die die CDU an die SPD bindet.
Der Konflikt ist ein Ventil für die Enttäuschung vieler junger Konservativer über Merz. Vor seiner Kanzlerkandidatur war er ihr Star, doch nach Amtsantritt hat er kaum eines seiner Wahlversprechen eingelöst. Viele glauben, er habe seine knappe Mehrheit ihrer Unterstützung zu verdanken. Noch im vergangenen Jahr feierten sie ihn wie einen Helden – heute sehen sie in ihm einen unzuverlässigen Politiker, der keinen Haushaltskurs halten kann und sich einem unpopulären Koalitionspartner unterwirft.
Die seltsame Fokussierung des Streits auf die Stabilisierung der Renten nach 2031 zeigt diese plötzliche Wut. Die Junge Union behauptet, diese Maßnahme verstoße gegen den Koalitionsvertrag (denselben Vertrag, den sie trotz aller Probleme unterstützte). Sie veranschlagt die Kosten bis 2040 auf 115 Milliarden Euro – ein Paradebeispiel für „Zukunftsfetischismus“: als könne heute jemand verlässlich vorhersagen, welche Regierung in drei Jahren im Amt sein wird, geschweige denn, welche Maßnahmen sie ergreifen wird. Die Berechnung unterstellt, dass alles gleich bleibt oder sich verschlechtert – ein Alarmismus, der zukünftige Beschwerden legitimieren soll, aber ignoriert, dass künftige Regierungen (und es wird garantiert nicht diese extrem unpopuläre Regierung sein) eigene Entscheidungen treffen werden.
Junge Konservative machen einen Fehler, wenn sie diese Debatte als Waffe einsetzen wollen. Sie merken nicht, wie stark sie das Narrativ ihrer Gegner übernehmen. Das rechtspopulistische Magazin Nius etwa stellt das Foto älterer Menschen auf Kreuzfahrt neben die Schlagzeile: „Den Boomern die Rente kürzen!“ – als wäre es irgendeine Form von Verbrechen, Freude zu empfinden.
Die plumpe Analyse dahinter lautet: Ältere blockieren Reformen und leben auf Kosten der Jüngeren. „Die Boomer sind nicht Opfer des Systems, sie sind das System.“ Ganz im Sinne der politischen Linken und der Klimabewegung glaubt dieser Kommentar, die Zukunft hänge davon ab, dass die jüngere Generation die „Sünden“ ihrer Eltern – einschließlich der angeblich zu geringen Kinderzahl – wiedergutmacht.
Dieser gefährliche Unsinn ist ein Geschenk für unfähige Politiker, die echte Probleme nicht lösen können. Merz selbst hat den Konflikt verschärft, indem er den Jüngeren erklärte, dass niemand in einer alternden Gesellschaft Wahlen gewinnt, wenn er Renten kürzt. Natürlich will niemand sinkende Lebensstandards – und das völlig zu Recht. Doch ältere Wähler als Schutzschild zu benutzen, um schwierigen Reformen auszuweichen (längere Lebensarbeitszeit, ein Mischsystem, andere mutige Schritte), ist die raffinierteste Form eines Angriffs auf die Wähler selbst.
Die wahre Geschichte
Viele Babyboomer haben längst akzeptiert, dass sie länger arbeiten müssen – das Rentenalter wurde bereits auf 67 angehoben. Diese Generation hat ihren gesamten Lebensweg über zu dem materiellen Wohlstand beigetragen, von dem heute alle profitieren. Sie haben den Solidaritätszuschlag für die Wiedervereinigung bezahlt, und viele, vor allem Männer, leisteten in ihrer Jugend bis zu 18 Monate Wehrdienst.
Wichtiger noch: Die Vorstellung, die über 60-Jährigen seien gierig, beruht auf der grotesken Annahme, alle Boomer seien gleichermaßen vermögend, als gäbe es keine sozialen Klassen. Absurd ist auch der Gedanke, diese Generation verschwöre sich gegen ihre eigenen Kinder und Enkel.
Was Deutschland am allerwenigsten braucht, ist ein künstlich geschürter Generationenkonflikt, der nur zu mehr Fatalismus und Klagen führt. Das schadet nicht nur den Älteren (deren Lebensstandard ebenso unter Druck steht wie der der Jüngeren), sondern ebenso den Jüngeren (die schließlich auch nicht ewig jung bleiben werden). Die Babyboomer-Generation verantwortlich zu machen, lenkt nur von den eigentlichen Ursachen unseres wirtschaftlichen Niedergangs ab: dem Verlust an Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität, der ausufernden Bürokratie, der Technokratisierung der Politik und der Angst vor einer wirklich offenen, ehrlichen Debatte.
Dies entlastet jene Politiker, die sich seit Langem hinter der angeblichen Unzulänglichkeit der Wähler verstecken. Es ist eine „Teile-und-herrsche“-Strategie, angewandt von denen, die Angst vor Solidarität und Zorn der Bevölkerung haben.
Zum Glück werden sich die meisten gewöhnlichen jungen Deutschen nicht mit dieser rückwärtsgewandten, boomerfeindlichen Debatte identifizieren. Die meisten erkennen, dass die Lösung von Deutschlands großen Problemen nur durch generationenübergreifende Solidarität möglich ist. Um die Fehler unserer politischen Klasse auszugleichen — die katastrophale Energiepolitik, der kurzfristige, wachstumsfeindliche Ökologismus (dessen aktuelle Rentenpanik nur ein Symptom ist) — brauchen wir sowohl die Energie der Jugend als auch die Weisheit des Alters.
Wir dürfen es nicht zulassen, dass man uns auf diese Weise spaltet.
*Sabine Beppler-Spahl ist Autorin für die in Berlin ansässige Webseite europeanconservative.com. Sabine ist Vorsitzende des deutschen liberalen Thinktanks Freiblickinstitut und Deutschlandkorrespondentin für Spiked. Ihre Artikel sind in zahlreichen deutschen Magazinen und Zeitungen erschienen.