Das brillante Manöver des palästinensischen Widerstands
Als Trump und Netanjahu in den USA eine Pressekonferenz abhielten und das Todesurteil für Gaza verkündeten, brach bei vielen die Moral zusammen.
Kurz darauf empörten die abscheulichen Videos, mit denen Netanjahu so tat, als habe er „Sieg“ errungen, alle Menschen mit Gewissen. Doch damit nicht genug: Trump drohte zudem, sollte Hamas das Abkommen nicht unterschreiben, „wir werden sie zur Hölle machen“. Als all dies geschah, stiegen in den Herzen aller, die um Palästina bangten, große Wut, Trauer und Auflehnung auf. Es herrschte eine Atmosphäre der Hoffnungslosigkeit, und viele von uns konnten nachts nicht schlafen.
KRITISCHES TREFFEN IN KATAR
Unter dem Druck der Drohung „entweder du verschwindest, oder du unterschreibst dieses Abkommen“ versammelten sich in Katar Vertreter aus der Türkei, Ägypten und Katar zu einem Treffen. Der türkische Geheimdienstchef İbrahim Kalın, der ägyptische Geheimdienstchef und katarische Offizielle trafen unter strengen Sicherheitsvorkehrungen Hamas-Mitglieder. Während Hamas gleichzeitig mit anderen Widerstandsgruppen im Gazastreifen Konsultationen führte, ging es am Verhandlungstisch darum, wie man dieser Zwangslage entkommt, wie diese diplomatische Einkreisung durchbrochen werden kann und wie man zumindest Zeit zum Durchatmen und Kräfte Sammeln gewinnt.
DER WIDERSTAND DER HAMAS VERSAMMELTE DIE KÖPFE DER STAATEN
Hamas zeigte inmitten wiederholter Blockaden und Drucksituationen vielleicht zum wiederholten Mal großartige Widerstandskraft. Doch in einem zweijährigen Kampf gegen die größten Armeen der Welt waren ihre Kräfte erschöpft. Die seelisch Widerstehenden und körperlich Erschöpften — die Erfahrung der Hamas — vereinten sich mit dem diplomatischen Geschick anderer Staaten, und ein Ausweg wurde gefunden. Trumps Angebot würde nicht vollumfänglich angenommen werden, aber auch nicht schlichtweg abgewiesen. Die Versuche Israels, Hamas zu belagern, zu isolieren und weltweit zu dämonisieren, sollten vereitelt werden. So würde Gaza aus der Hölle teilweise herausgeholt, könnte durchatmen, seinen Handlungsspielraum vergrößern und Kräfte für den nächsten Schritt sammeln. Das war der Plan.
UMDENKEN BEI DEN GEISELN
Am Verhandlungstisch wurde Hamas Folgendes klargemacht: Die israelischen Geiseln waren einst ein Schutzschild, ein Hebel am Tisch, ein Vorteil, der Israel in Bedrängnis brachte — doch heute ist das nicht mehr so. Trotz der Geiseln setzten sich Bombardements, Massaker und letztlich die Bodeninvasion fort. Tatsächlich hatte Netanjahu die Geiseln von Anfang an offenbar aufgegeben und sie lange Zeit als Vorwand für die Invasion benutzt. In Trumps ganzen Reden spielten die Geiseln eine Rolle, und auch in den Erklärungen europäischer Staaten stand die Geiselfrage stets im Mittelpunkt.
Doch was würde Hamas verlieren, wenn sie die Geiseln freiließe? Diese Frage wurde am Tisch gestellt — und die Antwort lautete: Die Geiseln sind kein Vorteil und Schutzschild mehr, sondern haben sich ins Gegenteil verkehrt. Wenn sie freigelassen würden, wäre ein Teil dessen erfüllt, was Trump wollte; Israel würde ein Druckmittel verlieren und die Rechtfertigung für die Besatzung schrumpfen. So würde Hamas es vermeiden, als die Seite dazustehen, die das Abkommen ablehnt, und damit die Dämonisierungsstrategie „terroristische Organisation“ durchbrechen. Doch hinter diesem geschickten Schachzug stand ein weiterer: Auf andere Forderungen Trumps wurde nicht vorbehaltlos „Ja“ gesagt — diese sollten in späteren Verhandlungen geklärt werden.
KRITISCHE GESPRÄCHE
Nachdem die zentralen Punkte festgelegt worden waren, wurde ein Text ausgearbeitet – sorgfältig formuliert, diplomatisch abgewogen und mit Bedacht auf jedes Wort. Selbst Trumps Ego wurde dabei berücksichtigt. Nach Fertigstellung des Textes begann ein reger Telefonverkehr zwischen den Außenministern der beteiligten Staaten. Der türkische Außenminister Hakan Fidan führte dabei intensive Gespräche.
Anschließend kontaktierte der MIT-Chef İbrahim Kalın Trumps Sondergesandten Witkoff und übermittelte ihm den vorbereiteten Text. Beide waren sich einig, dass die Antwort der Hamas einen entscheidenden Schritt zur Beendigung des Krieges darstellen könnte. Danach ging es darum, Trump selbst zu überzeugen – und zwar, ohne in die Netze der Israel-Lobby sowie der Israel-freundlichen Kreise im Weißen Haus und in den US-Außen- und Verteidigungsministerien zu geraten.
Zuerst telefonierte der Emir von Katar, Scheich Tamim Bin Hamad Al Thani, mit Trump. Er erklärte, dass Katar das erzielte Ergebnis unterstütze und dies den vernünftigsten Ausweg darstelle.
Am nächsten Tag sprach auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan telefonisch mit Trump und bekräftigte, dass die in Katar erzielte Einigung der realistischste und friedlichste Weg sei.
Trump, der die Lösung der Geiselfrage als wichtigen Erfolg betrachtete, stimmte schließlich dem Vorschlag zu.
DAS BEMÜHEN, TRUMP ZU BEEINFLUSSEN
Hamas veröffentlichte den sorgfältig ausgearbeiteten Text in der Öffentlichkeit – ein Text, der viele überraschte, aber schnell breite Zustimmung fand.
Netanjahu war überzeugt, dass Trump den Text ablehnen würde, und äußerte dies auch gegenüber seinem Umfeld. Doch Trump überraschte ihn: Auf seiner Social-Media-Seite schrieb er kurzerhand – und zu Netanjahus Entsetzen – „Hamas ist zu einem dauerhaften Frieden bereit, die Geiseln werden freigelassen. Israel muss die Bombardierungen sofort stoppen.“
Das Weiße Haus kündigte daraufhin an, dass Trump eine Videobotschaft veröffentlichen werde, und teilte sogar ein Foto aus den Aufnahmesitzungen. Doch das Video ließ auf sich warten. Der Grund: Sondergesandter Witkoff und Trumps Schwiegersohn Jared Kushner befanden sich im Raum, während Netanjahu wiederholt telefonisch durchgestellt werden wollte. Als dies bekannt wurde, machten Gerüchte die Runde, Trump könne seine Entscheidung revidieren.
Doch insbesondere auf Drängen Witkoffs blieb Trump bei seiner Haltung und veröffentlichte schließlich ein kurzes Video, in dem er erklärte, dass er den Vorschlag der Hamas positiv bewerte.
Damit hatte Hamas die diplomatische Blockade durchbrochen, Gaza bekam Luft zum Atmen – und Israel fand sich plötzlich in einer defensiven, politisch ungünstigen Position wieder.
HAMAS ALS LEGITIMER VERHANDLUNGSPARTNER
Trump und sein Vizepräsident Vance veröffentlichten daraufhin den vollständigen Text der Hamas-Erklärung auf ihren persönlichen Social-Media-Konten – ein Schock für Israel und seine Unterstützer in den USA. Denn sie hatten eine Organisation, die sie bisher als „Terrorgruppe“ bezeichnet und auslöschen wollten, offiziell als Gesprächspartner anerkannt und deren Vorschläge angenommen.
Das bedeutete für Israel ein diplomatisches Eigentor.
Zudem zwang Trumps Aufforderung, die Bombardierungen sofort einzustellen, Netanjahu faktisch zum Einlenken. Zwar setzte Israel die Angriffe zum Zeitpunkt dieses Berichts (Samstag, 12.00 Uhr) fort, doch in der offiziellen Erklärung wurde betont, dass man sich an Trumps Plan halten werde.
Diesmal jedoch – im Gegensatz zu früher – fehlte jeglicher Ton von „Sieg“.
WARUM HAT TRUMP EINGEWILLIGT?
Die israelische Presse reagierte empört und titelte, Trump habe „Israel verraten, um den Friedensnobelpreis zu bekommen“; sie verbreiteten Bilder, die Trump mit einem Hamas-Kämpfer verglichen.
Tatsächlich hatte Trump erreicht, was ihm wichtig war, auch wenn Netanjahus Plan, die Hamas vollständig zu vernichten, nicht in vollem Umfang umgesetzt wurde. Für Trump zählte in erster Linie, dass die Geiseln freikamen — und er sah darin die Chance, dies als große Erfolgsgeschichte zu verkaufen. Gleichzeitig wurde das Ansehen der USA durch eine weltweit aufbrandende, beispiellose Protestwelle, zu der unter anderem die Sumud-Flotte beitrug, massiv beschädigt. Katar, die Türkei, Saudi-Arabien, Ägypten und Jordanien stellten sich hinter die Erklärung der Hamas und demonstrierten Entschlossenheit.
All dies zeigte, dass die Lage nicht dauerhaft so bleiben könne und dass sich der Widerstand der Bevölkerung wellenartig auf alles auswirken würde. US-Berater werteten die Erklärung der Hamas, mit der sie dem Abkommen zustimmte, als Chance, die Lage zu verändern — und Trump setzte dies um. Natürlich dachte er dabei auch an die Bewerbungen für den Friedensnobelpreis, die am 10. Oktober beginnen würden. Jetzt wartet er gespannt auf die Länder, die ihn nominieren werden.
KEIN SIEG, KEINE NIEDERLAGE
Gaza — das weder von den 57 islamischen Ländern noch von rund 200 Staaten der Welt Waffen oder auch nur ein Stück Brot erhielt — hat dennoch einen der größten Widerstände der Geschichte geleistet. Im Ringen um Landesverteidigung und Unabhängigkeit zwang ihn die Lage, kurz durchzuatmen, Kräfte zu sammeln und Zeit für neue Schritte zu gewinnen. Mit dieser klugen Entscheidung verwandelte sich sein weltweites Image über Nacht ins Positive und erlangte psychologische Überlegenheit.
Dies ist weder ein Sieg noch eine Niederlage. Es ist der Übergang in eine neue Phase des mehr als hundertjährigen Widerstands. Im weiteren Verlauf werden neue Schritte folgen: Man wird weitermachen, ohne Land zu verlieren und ohne die eigene Ehre zu brechen.
Palästina ist inzwischen zu einem weltweiten Freiheitskampf geworden. Der Sieg wird denen gehören, die daran glauben.